Signatur: BStU, MfS, BV Leipzig, Vi, Nr. 10
Am 9. Oktober 1989 herrschte große Anspannung im Leipzig. Würden die Sicherheitskräfte die geplante Montagsdemonstration mit Gewalt niederschlagen? Am Ende des Tages war klar: Die Revolution würde friedlich bleiben. Aufnahmen der Stasi geben einen Eindruck vom damaligen Geschehen.
Am 4. September 1989 riefen Demonstrantinnen und Demonstranten in Leipzig ein neues Format des Protestes ins Leben: die Montagsdemonstration. Viele weitere Protestzüge folgten dem ersten. Waren Anfang September nur etwa 1.200 Menschen auf den Straßen, folgten eineinhalb Monate später schon über 100.000 Demonstrantinnen und Demonstranten dem Aufruf der Bürgerrechtsgruppen zum friedlichen Protest.
Die Montagsdemonstrationen standen in der Tradition der Friedensgebete, zu denen sich oppositionelle Leipzigerinnen und Leipziger bereits seit 1982 regelmäßig in der Nikolaikirche trafen. Die evangelischen Kirchen in der gesamten DDR hatten sich in den 80er Jahren zu einer Art Schutzraum für Oppositionelle entwickelt. Orte wie die Nikolaikirche in Leipzig oder die Gethsemanekirche in Berlin wurden im Herbst 1989 zu Zentren des Widerstands gegen das SED-Regime.
In Leipzig ging die Staatssicherheit schon bei der ersten Montagsdemonstration am 4. September gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten vor. Am 11. September kam es erneut zu einem brutalen Vorgehen der Sicherheitskräfte und zahlreichen Verhaftungen. Das schweiste die Demonstrantinnen und Demonstranten, bestehend aus Kirchenmitgliedern, Oppositionellen und Ausreisewilligen zusammen. In vielen Städten in der DDR gab es nun regelmäßige Demonstrationen und Mahnwachen für die Inhaftierten. Auch die Zahl der Demonstrierenden wurde schnell größer. Am 2. Oktober nahmen in Leipzig bereits bis zu 20.000 Menschen an der Montagsdemonstration teil, am 16. Oktober waren es mehr als 100.000 in Leipzig und rund 18.000 in anderen Städten. Eine Woche später hatte sich die Teilnehmerzahl bereits verdreifacht.
Das vorliegende Video zeigt Aufnahmen der Staatssicherheit von der Demonstrationen am 9. Oktober 1989 in der Leipziger Innenstadt. An diesem Montag herrschte große Anspannung im gesamten Land. Die Ereignisse in Peking vom 3. und 4. Juli des Jahres, als die chinesische Regierung die Proteste im Land brutal niederschlug, waren in den Köpfen noch sehr präsent.
In vier Leipziger Kirchen hatten sich am Nachmittag tausende Bürgerinnen und Bürger zum Montagsgebet eingefunden. Als sie etwa eine Stunde später die Kirchen verließen, warteten draußen bis zu 70.000 Demonstrantinnen und Demonstranten. Zehntausende skandierten: "Wir sind das Volk!" Gegen halb sieben entschieden Leipziger SED-Funktionäre, nicht einzugreifen. Um kurz nach sieben Uhr rief der ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen Egon Krenz in Leipzig an und segnete diese Entscheidung nachträglich ab. Damit war klar: Zu einer "chinesischen Lösung" würde es in der DDR nicht kommen.
Im Video ist ein Zwischentitel eingeblendet, der erst nach 1990 entstanden ist. Es handelt sich um Teile einer Filmproduktion, die auf Grundlage von Aufnahmen der Staatssicherheit entstanden sind. Die Originale gelten als verschollen. Die vorliegenden Aufnahmen wurden als Zusammenschnitt im Juli 2019 durch das Archiv der Bürgerbewegung leipzig e.V. an das Stasi-Unterlagen-Archiv übergeben.
[Demonstrierende im Sprechchor:] Wir bleiben hier!
[Kameramann spricht Unverständliches]
[Geräusche von vorbeifahrenden Fahrzeugen]
[Geräusche von vorbeifahrenden Fahrzeugen]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Wir bleiben hier!
[anfeuerndes Klatschen im Takt der Demonstrierenden]
[anfeuerndes Klatschen und im Sprechchor:] Hey, hey, hey!
[im schneller werdendes Händeklatschen]
[anhaltendes Händeklatschen]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Neues Forum zulassen!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[einige Demonstrierende singen]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[mehrere Sprechchöre der Demonstrierenden durcheinander]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Händeklatschen der Demonstrierenden]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Wir sind das Volk!
[einige Demonstrierende singen "Die Internationale"]]
[Demonstrierenden im Sprechchor:] Neues Forum zulassen![singende Demonstrierende]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Neues Forum zulassen!
[Sprechchöre durcheinander]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Neues Forum zulassen!
[Gesang und Sprechchöre durcheinander:] Neues Forum zulassen! Schließt Euch an!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Wir sind das Volk!
[anfeuerndes Händeklatschen der Demonstrierenden]
[Händeklatschen, Pfiffe und Rufe der Demonstrierenden]
[immer lauter werdendes Händeklatschen der Demonstrierenden]
[anhaltendes Händeklatschen der Demonstrierenden]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Wir sind keine Rowdys!
[einsetzendes Händeklatschen und im Sprechchor:] Wir sind keine Rowdys!
[unverständliche Sprechchöre durcheinander und Händeklatschen]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Demonstrierende im Sprechchor "Gorbi" mit 3 x Händeklatschen]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[unverständlicher Sprechgesang der Demonstrierenden]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Pfiffe und Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Pfiffe der Demonstrierenden]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[aus der Ferne ein Demonstrant:] Schließt Euch an! Schließt Euch an!
[Sprechchöre durcheinander:] Schließt Euch an! Gorbi, Gorbi! Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Neues Forum![etwas leiser im Sprechchor:] Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Händeklatschen und Pfiffe der Demonstrierenden][im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Hey, hey, hey!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Wir sind das Volk!
[Klatschen, Pfiffe und Rufe von Demonstrierenden]
[Demonstrierende im Sprechchor und im Takt Händeklatschen:] Schließt Euch an!
[anfeuerndes Händeklatschen, Pfiffe und Rufe der Demonstrierenden]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Händeklatschen der Demonstrierenden]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Gorbi, Gorbi!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Wir sind das Volk!
[im Sprechchor "Gorbi!" mit dreimal Klastschen der Demonstrierenden]
[Sprechchöre durcheinander:] Gorbi! Wir bleiben hier!
[Sprechchöre der Demonstrierenden durcheinander:] Schließt Euch an!Wir bleiben hier!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Freie Wahlen!
[mehrere Sprechchöre und Gesang der Demonstrierenden durcheinander]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Wir sind das Volk!
[Sirene eines Krankenwagens und unverständliche Sprechchöre der Demonstrierenden]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[mehrere Sprechchöre durcheinander]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Demonstrierende im Sprechchor "Gorbi" mit dreimal Händeklatschen]
[unverständliche Sprechfunkdurchsage im Hintergrund]
[unverständliche Sprechfunkdurchsage im Hintergrund]
[anfeuerndes Händeklatschen der Demonstrierenden]
[Demonstrierende im Sprechchor und Händeklatschen:] Neues Forum zulassen!
[Pfiffe, Händeklatschen und im Sprechchor der Demonstrierenden:] Neues Forum zulassen!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Händeklatschen und Pfiffe der Demonstrierenden]
[Demonstrierende singen "Die Internationale":]Die Internationale erkämpft das Menschenrecht!
[Demonstrierende singen:] Völker hört die Signale! Auf zum letzten Gefecht!
[anfeuerndes Klatschen im Takt der Demonstrierenden]
[Demonstrierende im Sprechchor und im Takt klatschend:] Schließt Euch an!
[unverständliche Sprechchöre der Demonstrierende durcheinander]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Händeklatschen der Demonstrierenden]
[Händeklatschen im Takt der Demonstrierenden]
[Händeklatschen im Takt der Demonstrierende und im Sprechchor:]Schließt Euch an!
[mehrere Sprechchöre durcheinander]
[Demonstrierende im Sprechchor "Gorbi" mit dreimal Händeklatschen]
[mehrere Sprechchöre durcheinander]
[Demonstrierende im Sprechchor durcheinander:] Wir wollen Reformen! Schließt Euch an!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Freie Wahlen!
[Pfiffe der Demonstrierenden]
[anhaltendes Sirenensignal des Rettungswagens][Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Pfiffe der Demonstrierenden und im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Keine Gewalt!
[mehrere Sprechchöre der Demonstrierenden durcheinander]
[Pfiffe der Demonstrierende]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an![Demonstrierende singen "Die Internationale]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Gorbi!
[Klatschen und Pfiffe der Demonstrierenden]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Pfiffe der Demonstrierenden]
[zwei Sprechchöre der Demonstrierenden:] Schließt Euch an!Gorbi!
[Demonstrierende im Sprechchor "Gorbi" mit dreimal Händeklatschen]
[zwei Sprechchöre der Demonstrierenden:] Gorbi!Schließt Euch an!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Wir sind das Volk!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Neues Forum zulassen!
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Demonstrierende singen "Die Internationale"]
[anfeuerndes Händeklatschen im Takt der Demonstrierenden]
[Demonstrierende im Sprechchor:] Schließt Euch an!
[Mann in dunkler Jacke:] [unverständlich]. Jetzt können wir nach Hause gehen.
[Demonstrierende im Sprechchor aus der Ferne:] Schließt Euch an!
Die Kirchen gerieten nicht selten unter Verdacht, gegen die politischen Verhältnisse in der DDR zu opponieren. Das lag an ihrer weitgehenden Eigenständigkeit, an der christlichen Botschaft, die von den kommunistischen Ideologen als konkurrierendes Sinn- und Erklärungsangebot abgelehnt wurde, sowie an ihrem Beharren auf Mitsprache und Gestaltungsanspruch in gesellschaftlichen Fragen. Im Auftrag der SED wurde daher das MfS tätig, um die von den Kirchen ausgehenden vermeintlichen und tatsächlichen Gefahren für das politisch-ideologische System der DDR abzuwehren.
Die SED-Kirchenpolitik war in den vier Jahrzehnten der DDR Wandlungen unterworfen. In den 50er Jahren führte die SED mehrfach einen offenen Kirchenkampf. Dieser richtete sich u. a. gegen die kirchliche Jugend- und Studentenarbeit, v. a. bei der Einführung der Jugendweihe, sowie gegen karitative Einrichtungen wie die Bahnhofsmissionen. Mehrere Religionsgemeinschaften wurden verboten und deren Anhänger verfolgt.
Die SED war zudem bestrebt, die Verlesung von solchen Hirtenbriefen und Kanzelabkündigungen zu unterbinden, in denen sozialethische, gesellschaftskritische oder politische Fragen aufgegriffen wurden. Von der Polizei und dem MfS wurden kirchliche Einrichtungen durchsucht und Literatur beschlagnahmt. Neben kirchlichen Mitarbeitern wurden unter Mitwirkung des MfS auch Pfarrer – zwischen 1950 und 1960 mindestens 140 – inhaftiert.
Ab den 60er Jahren beschränkte sich die SED zunehmend darauf, durch eine rigorose Auslegung der Veranstaltungsordnung unerwünschte kirchliche Aktivitäten zu behindern. Das offizielle Eindringen in kirchliche Räume wie im November 1987, als es nachts in der Zionsgemeinde in Ostberlin zu Durchsuchungen und Festnahmen kam, war in den 70er und 80er Jahren eher untypisch, weil dies die Staat-Kirche-Beziehungen erheblich belastete. Vor allem seit 1978 bemühte sich die SED, ein Stillhalteabkommen zwischen Kirchenleitungen und Staat zu respektieren.
Das MfS versuchte aber stets, indirekt Einfluss auf kirchliche Entscheidungen zu nehmen. Dies und die verdeckte Informationsbeschaffung zählten zu den Hauptbetätigungsfeldern des MfS im Rahmen der von der SED konzipierten Kirchenpolitik. Die Informationsbeschaffung erfolgte mittels Observation, IM-Einsatz und auf dem Weg der sog. Gesprächsabschöpfung. Dabei gelang es in Einzelfällen auch, Christen in kirchlichen Leitungspositionen als IM zu gewinnen.
So arbeitete der thüringische Kirchenjurist und Oberkirchenrat Gerhard Lotz seit 1955 mit dem MfS als IM "Karl" zusammen. Durch die Positionierung eines Offiziers im besonderen Einsatz im Konsistorium in Magdeburg, Detlev Hammer, der ab 1974 juristischer, dann Oberkonsistorialrat war, vermochte es das MfS, einen hauptamtlichen Mitarbeiter innerhalb der Leitungsstruktur der provinzsächsischen Kirche zu platzieren. Außerdem hatte das MfS gegenüber den Kirchen dann tätig zu werden, wenn Verdachtsmomente dafür vorlagen, dass die Kirchen über den ihnen von der SED zugewiesenen religiös-kultischen Bereich hinaus tätig wurden.
Dementsprechend observierte das MfS Kirchengemeinden und Pfarrer, die – wie es beim MfS hieß – im Rahmen der "Partnerschaftsarbeit" Besuchskontakt zu Kirchengemeinden in der Bundesrepublik unterhielten. Das MfS legte hierzu OV an und ermittelte gegen die Organisatoren der Zusammenkünfte.
Als Ziele der MfS-Aufklärung galten ebenso kirchliche Synoden und Basistreffen, auf denen grundsätzlich die potenzielle Gefahr bestand, dass Kritik an den Verhältnissen in der DDR geübt werden würde. In das Blickfeld des MfS rückten die evangelischen Kirchen insbesondere ab Mitte der 70er Jahre: Zunächst rief die auch unter nichtkirchlichen Jugendlichen an Attraktivität gewinnende kirchliche Jugendarbeit, dann die Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsarbeit unter dem Dach der Kirche den Argwohn des MfS hervor.
Insgesamt war das MfS nur eine von mehreren Institutionen des SED-Staates, die im Rahmen der SED-Kirchenpolitik tätig wurden. Im Zusammenspiel mit ihnen versuchte das MfS, die Kirchen zu kontrollieren und zu disziplinieren.
In Auswertung der kirchenpolitischen Kampagnen der 50er Jahre und bestärkt durch konzeptionelle Arbeiten, drängte die SED-Führung ab Anfang der 80er Jahre zunehmend auf ein koordiniertes Vorgehen. Die vom MdI und den Abteilungen für Inneres erstellten Rapportmeldungen, Berichte und Personeneinschätzungen zu Gottesdiensten und kirchlichen Mitarbeitern wurden vereinbarungsgemäß dem MfS zur Verfügung gestellt und bildeten häufig den Grundstock jener Berichte und Personencharakteristiken, die sich in den Beständen des MfS wiederfinden.
Bereits vor Gründung des MfS hatte bei der Deutschen Verwaltung des Innern in der Abteilung K 5 das Referat C 3 existiert. Als Aufgabenbeschreibung wurde die "Aufklärung und Bekämpfung der kirchlichen Feindtätigkeit" genannt. Ab 1950 bestand im MfS zunächst die Abteilung V, die sich ab 1953 Hauptabteilung V nannte und 1964 im Zuge einer Umstrukturierung zur Hauptabteilung XX wurde.
Innerhalb dieser Organisationsstruktur zeichnete die Abt. 4 für die "Bearbeitung" der Kirchen verantwortlich. 1988 gliedert sich diese in sechs Fachreferate, wobei je eins für die evangelischen Kirchen, die katholische Kirche sowie die Religionsgemeinschaften und Sekten zuständig war. Ein Referat widmete sich Operativen Vorgängen. Als Schwerpunkt der Arbeit wurde die "Bekämpfung der politischen Untergrundtätigkeit" benannt. Zwei weitere Referate nahmen koordinierende Funktionen wahr.
Neben der Hauptabteilung XX/4 stützte sich das MfS bei der Bekämpfung und Infiltration der Kirchen auf die Zuarbeit verschiedener Hauptabteilungen und Abteilungen - so u. a. auf die Dienste der HV A bei der "Aufklärung" von westlichen Partnergemeinden und Pfarrern, die die kirchliche Friedensarbeit in den ostdeutschen Gemeinden unterstützten. Im Fall der Inhaftierung kirchlicher Mitarbeiter übernahm die Hauptabteilung IX als Untersuchungsorgan den Vorgang.
Hinzu kamen andere institutionalisierte Formen der "Bearbeitung". Als politisch-ideologische fungierte ab 1958 das Referat Familienforschung, das Verwicklungen missliebiger Kirchenvertreter in das NS-Regime aufdecken oder konstruieren sollte, um die so Diffamierten unter Druck setzen zu können. Angesiedelt war es beim Deutschen Zentralarchiv in Potsdam. Es verwaltete verschiedene aus NS-Beständen stammende Unterlagen und wertete sie aus. Dabei handelte es sich um eine verdeckt arbeitende Einrichtung des MfS.
Um den steigenden Informationsbedarf – unter Berücksichtigung der Spezifik kirchlicher und religiöser Angelegenheiten – zu decken und um Sonderaufträge u. a. auch im Ausland ausführen zu können, etablierte das MfS 1960 die sog. Auswertungsgruppe, die dem Referat V zugeordnet wurde. In einem konspirativen Objekt in Berlin-Pankow ("Institut Wandlitz") arbeiteten hauptamtliche IM und mehrere OibE zusammen.
Seine "Absicherung" fand das Vorgehen des MfS gegenüber den Kirchen durch ein umfangreiches Netz von OibE und IM, die das MfS im Staatssekretariat für Kirchenfragen und in den Kirchenabteilungen der DDR-Bezirke unterhielt. 1989 gab es im Staatssekretariat drei OibE; zudem berichtete der persönliche Referent und Büroleiter der Staatssekretäre Hans Seigewasser und Klaus Gysi, Horst Dohle, ab 1975 als IM "Horst" dem MfS. Insgesamt aber gelang es dem MfS nicht, die Kirchen umfassend zu unterwandern.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Beginn einer freiheitsentziehenden Maßnahme, Ergreifung eines Beschuldigten oder Angeklagten aufgrund eines richterlichen Haftbefehls (§ 114 StPO/1949, § 142 StPO/1952, §§ 6 Abs. 3, 124 StPO/1968). Zu unterscheiden von der vorläufigen Festnahme und der Zuführung.
Observation der Massendemonstration am 4. November 1989 Video, 37 Minuten, 26 Sekunden
Beobachtung einer Demonstration vor der Stasi-Zentrale in Rostock Audio, 15 Minuten, 35 Sekunden
Information über eine nichtgenehmigte Demonstration im Stadtzentrum von Leipzig am 9. Oktober 1989 Dokument, 7 Seiten
Bericht über Demonstrationen in der Innenstadt von Leipzig am 7. Oktober 1989 Dokument, 3 Seiten