Signatur: BStU, MfS, AOP, Nr. 11806/85, Bd. 21, Bl. 171
1976 lud die IG Metall den DDR-Liedermacher Wolf Biermann zu einigen Konzertauftritten in die Bundesrepublik ein. Die Stasi nahm die Einladung zu den Akten.
Wolf Biermann, Sohn einer kommunistischen Arbeiterfamilie aus Hamburg, siedelte 1953 als Schüler in die DDR über. Er hielt den Staat für das bessere Deutschland. Dort nahm er ein Studium am Berliner Ensemble, dem von Bertolt Brecht gegründeten Theater, auf. Mit seinen Liedern und Gedichten, die er bald zu schreiben begann, geriet er zunehmend in Konflikt mit der strengen Linie der Staatspartei SED. 1965 verhängte das Politbüro ein totales Auftrittsverbot gegen den Künstler. Drüber hinaus hörte die Staatssicherheit Biermanns Wohnung und Telefongespräche ab, las seine Briefe und setzte auch Spitzel auf ihn an. Ihn einzusperren oder "verschwinden" zu lassen hätte dagegen zu viele unerwünschte internationale Reaktionen nach sich gezogen.
Obwohl seine künstlerischen Wirkungsmöglichkeiten dadurch auf private Räume eingeschränkt wurden, gewann Biermann weiterhin an Popularität – auch im Westen Deutschlands. Dort veröffentlichte er Schallplatten und Gedichtbände. Das SED-Regime konnte dies nicht verhindern und auch Auftritte des Liedermachers in anderen Staaten formal nicht verbieten. Die DDR-Oberen verweigerten ihm jedoch die Ausreise, wenn es Anfragen an den Liedermacher aus dem Ausland gab.
1976 lud die westdeutsche Gewerkschaft IG Metall Biermann zu einer Reihe von Auftritten bei ihren Jugendveranstaltungen ein. Die Stasi fing den Brief ab und nahm ihn zu den Akten. Das SED-Regime erlaubte dem Liedermacher scheinheilig die Teilnahme, mit der Absicht, ihn auszubürgern.
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Lieber Wolf Biermann,
wir würden uns sehr freuen, wenn es Ihnen möglich wäre, im Oktober dieses Jahres bei Jugendveranstaltungen der IG Metall-aufzutreten. Wie unser Kollege Jakob Moneta Ihnen vielleicht berichtet hat, konzentrieren wir uns im Oktober eines jeden Jahres besonders auf die gewerkschaftliche Jugendarbeit.
Für Veranstaltungen mit Ihnen können wir die Zeit vom 23. Oktober bis 31. Oktober vorschlagen. Als Veranstaltungsorte kommen die Städte Köln, Duisburg, Nürnberg, und Augsburg in Frage.
Sobald Ihre prinzipielle Zusage vorliegt, sind wir gern bereit, mit Ihnen in Berlin die näheren Einzelheiten des Programms etc. abzusprechen.
Für eine baldige Antwort bedanken wir uns schon jetzt.
Mit freundlichen Grüßen
Industriegewerkschaft Metall
f. d. Bundesrepublik Deutschland
Vorstand
[Unterschrift]
Georg Benz
Zuschriften bitte unter Angabe unseres Zeichens ausschließlich an den Vorstand der IG Metall und nicht an Einzelpersonen richten.
Die IG Metall
eine Gewerkschaft im DGB
Der Operative Vorgang (OV) war ein registrierpflichtiger Vorgang und Sammelbegriff für Einzel- bzw. Gruppenvorgänge (Registrierung, TV und ZOV). Er wurde angelegt, um im Rahmen von verdeckten, aber zum Teil auch offenen Ermittlungen gegen missliebige Personen vorgehen zu können (Anweisung 14/52 vom 10.9.1952: Vorgangsordnung; 1976 durch Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" neu geregelt).
Ausgangspunkt des OV waren zumeist Hinweise auf, aus MfS-Sicht, strafrechtlich relevante Tatbestände (in der Regel Verstöße gegen die in der DDR geltenden politischen Normen), die es zu überprüfen galt. Bestandteil der nach einem klaren Abfolgeprinzip zu erstellenden OV waren "Maßnahmepläne" und ggf. in ihnen enthaltene Maßnahmen der Zersetzung, die vor allem dann zur Anwendung gelangten, wenn eine Inhaftierung aus taktischen Erwägungen als nicht opportun galt.
Im OV ermittelte das MfS nicht nur gegen die betreffende Person, es wurden auch Erkundigungen zum familiären Umfeld, zum Freundes- und Kollegenkreis u. ä. eingeholt. Konnten Delikte keinen Personen unmittelbar zugeordnet werden (z. B. Flugblätter, Losungen, anonyme Briefe), wurde ein OV gegen unbekannt eröffnet. Darin wurden die nach den Vorstellungen des MfS potenziell als Urheber in Frage kommenden Personen dahingehend überprüft, ob ihnen die "Tat" nachzuweisen war.
Häufig ging dem OV eine Operative Personenkontrolle (OPK) voraus. OV waren mit Vorschlägen zur Ahndung der nachgewiesenen Straftatverletzungen (z. B. Ermittlungsverfahren; Anwerbung; Zersetzungsmaßnahmen) bzw. bei Nicht-Bestätigung des Ausgangsverdachts durch Einstellen der Bearbeitung abzuschließen.
Regime, auch Regimeverhältnisse, bezeichnet die Gesamtheit der Verhältnisse und Lebensbedingungen eines Landes oder geographischen Raumes (z. B. politische Entwicklungen, administrative Strukturen, kulturelle Besonderheiten, behördliche Sicherheitsvorkehrungen), deren Kenntnis für ein effektives und unauffälliges nachrichtendienstliches Handeln notwendig war. Mit diesen Kenntnissen sollten vor allem das IM-Netz im Westen und der grenzüberschreitende Agentenreiseverkehr geschützt werden.
So sollten IM im Westeinsatz wissen, wie die bundesdeutsche Spionageabwehr arbeitete, wie streng Meldeformalitäten in Hotels gehandhabt wurden, wie man sich als durchschnittlicher Bundesbürger verhielt usw. Die Abteilung VI der HV A hatte die Aufgabe, systematisch Informationen über das Regime im Operationsgebiet zu sammeln und in der SIRA-Teildatenbank 13 nachzuweisen.
Reiseantrag Wolf Biermanns an das DDR-Kulturministerium vom 10. Oktober 1976 Dokument, 1 Seite
Anonyme Anruferin zur Ausbürgerung Wolf Biermanns Audio, 35 Sekunden
Reiseantrag Wolf Biermanns an das DDR-Kulturministerium vom 19.09.1975 Dokument, 1 Seite
Dokumentation über Wolf Biermanns Ausreise aus der DDR am 11.11.1976 Dokument, 4 Seiten