Signatur: BStU, MfS, BV Rostock, Ka, Nr. 99
Ende November 1989 ging die Stasi ihrem Ende entgegen. Das MfS war bereits in Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umbenannt worden. Der Personalbestand sollte deutlich verringert werden.
Ende November 1989 ging die Stasi ihrem Ende entgegen. Das MfS war bereits in Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umbenannt worden. Der Personalbestand sollte deutlich verringert werden. Bevor ab Dezember schließlich Bürgerkomitees die ehemaligen Bezirksverwaltungen und im Januar 1990 die Zentrale der Stasi in Berlin besetzten, ging die Arbeit für die Mitarbeiter zunächst weiter. Die Überwachung Oppositioneller wurde ebenso fortgesetzt, wie die genaue Beobachtung von "feindlich-negativen Handlungen" gegen das SED-Regime.
So beobachteten die Geheimpolizisten weiterhin die Demonstrationen in den Städten der DDR ganz genau. Zwar waren sie mittlerweile offiziell erlaubt. Die Herabwürdigung des Staates und seiner Symbole stand jedoch noch immer unter Strafe. Das vorliegende Tondokument ist eine Aufnahme von der Beobachtung einer Demonstration in Rostock. Der Stasi-Mitarbeiter sitzt am Fenster der Stasi-Zentrale und liest solche Plakate vor, die strafwürdig sein könnten. Besonders die gegen die SED und ihre Funktionäre gerichteten Losungen hält er fest.
Das genaue Datum der Aufnahme ist nicht überliefert. Eine Eingrenzung erlauben jedoch die erwähnten Transparente. Darauf wird zum Beispiel auf Helmut Kohls Deutschlandplan vom 28. November Bezug genommen. Der Zeitpunkt der Aufnahme muss also nach diesem Datum liegen. Darüber hinaus muss sie vor dem 4. Dezember entstanden sein. An diesem Tag verlor die Stasi endgültig die Kontrolle in Rostock, ihre nun Bezirksamt für Nationale Sicherheit genannte Zentrale wurde von Bürgern besetzt.
[Im Hintergrund:]
Kamera zu!
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Es kommen Aufforderungen, die Kamera zuzuhalten. Mit dem Plakat, det wedelt hier vor'm Fenster 'rum.
[Im Hintergrund Sprechchöre:]
Stasi raus!
[MfS-Mitarbeiter 2 im Hintergrund:]
Arbeiten! Man kann's nich' erkennen, ne?
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Weiteres Plakat "Rechtssicherheit spart Staatssicherheit". Nächstes Plakat "Der ...", was steht da? "Der Feind ...", ja, also der Text des Plakats "Der Feind steht im eigenen Land, alle Wendehälse vor Gericht". Transparent is das, ne?
So, nächstes Plakat, also - äh - Transparent meine ich, "Artikel 1", bezogen auf die Verfassen, ne? "Artikel 1 muß weg, sonst hat es keinen Zweck", so und dann das Übliche, noch ein Transparent "Freie Wahlen".
So, - äh - Zug setzt sich langsam, jetzt is also in Bewegung, aber unmittelbar vorm Eingang bis etwa Höhe Straße steht alles still, Kerzen in der Hand, in Erwartung dessen, was dann geschieht.
Sprechlosung: "Lieber Schnitzel statt viel Spitzel".
[Im Hintergrund Pfeiffen]
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Pfeiffkonzert, ohne Kommentar.
So, und wie gesagt, der gesamte Zug wandert also Richtung Schwaansche Straße. Nur ganz Vereinzelte gehen geradeaus weiter.
So, Gesang: "We shall overcome" wird angestimmt. Unmittelbar vor der Tür des Dienstobjektes vorm Haupteingang Filmaufnahmen. Mit Videokamera. Eingang wird gefilmt, offensichtlich Plakate och. Nicht auszumachen, was das für'n Filmteam ist.
Einschließlich Tonaufnahmen. Interviews seh' ich hier, Interviews!
Spielt sich aber alles unmittelbar vor der Tür ab. Muss also in den Monitoren zu sehen sein.
[MfS-Mitarbeiter 2 im Hintergrund:]
[unverständlich]
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Ja, det kann ja keener lesen.
[MfS-Mitarbeiter 2 im Hintergrund:]
[unverständlich]
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Sieht man jetzt nich. Stehn im Schatten.
[MfS-Mitarbeiter 2:]
Staats ... statt, kann man doch lesen, rückwärts!]
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Stasi, großes - äh - großes Transparent: "Stasi raus".
[MfS-Mitarbeiter 2:]
Das is das Ehepaar gewesen, siehste det?
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Was steht'n da drauf. "Stasi raus..."
[MfS-Mitarbeiter 2:]
Mit helle Jacke hier!
[MfS-Mitarbeiter 1:]
So, weitere Losungen auf Transparenten: "Alle Macht dem Volke".
So und denn noch een Ding, irgendwie bezogen auf Wandlitz. Is nur zu erkennen rot das Wort "Wandlitz", na mal sehen, vielleicht wird's noch gedreht.
"Wandertag nach Wandlitz" - aha. Wandertag nach Wandlitz. So dann geht hier vor'm Haus, unmittelbar vor'm Haus noch ein Transparent hoch: "Artikel 1", durchgestrichen, is klar.
[Rhythmisches Klatschen vieler Menschen im Hintergrund]
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Klatschkonzert.
[Das rhythmisches Klatschen setzt sich fort, ebbt dann ab und wird durch Pfeifen abgelöst]
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Neues Transparent: "Keine Tapezierer, wir brauchen Architekten".
Neues Transparent: "Neues Forum zulassen".
[MfS-Mitarbeiter 1 geht ans Telefon, es hat zuvor jedoch nicht hörbar geklingelt:]
Meinel? Ja. Ja, wir passen auf, is klar. Mhm.
[legt auf]
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Wir soll'n aufpassen, die leuchten mit Taschenlampen die Fenster ab. Ne, das seh'n wir dann.
[MfS-Mitarbeiter 2 im Hintergrund:]
Uffpassen hier vorne, siehste?
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Neues Transparent: "Einreiseverbot für", in Klammern, "Ehemalige", Bindestrich, "Rache der Kanalarbeiter", Fragezeichen.
[Rhythmisches Klatschen vieler Menschen im Hintergrund, im Takt dazu poltert es dumpf]
[MfS-Mitarbeiter 1:]
So, gegenwärtig wird hier unten irgendwie det Haus im Takt bearbeitet, offensichtlich die Tür.
[MfS-Mitarbeiter 2 im Hintergrund:]
[unverständlich]
[MfS-Mitarbeiter 1:]
So, dann kommt noch ein Transparent "Führungsanspruch der SED", Fragezeichen, "Volksentscheid", Ausrufezeichen.
So, Korrektur, die haben also offensichtlich hier nich eben mit'n Fäusten im Takt die Tür bearbeitet, sondern die müssen 'ne Trommel mitführen.
So, jetzt kommt neues Transparent, Text: "Neues Forum", dann, ja, stilisiertes, angedeutetes Parteiabzeichen, die beeden Hände drauf, da drüber: "Unschuld", über den beiden Händen, und unter den Händen tropft es.
[MfS-Mitarbeiter 2:]
Komisches Kreuz.
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Also, sich gegenseitig waschende Hände.
[MfS-Mitarbeiter 2:]
Und ganz oben Kreuz, ne?
[MfS-Mitarbeiter 1:]
So, und da drüber, das könnte'n Kreuz sein, ja.
[Singen im Hintergrund:]
"Stasi in die Produktion"
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Ohne Kommentar: "Stasi in die Produktion".
[MfS-Mitarbeiter 2:]
Gottes Willen!
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Neue Losung, auf einem kleinen Schild: "Herr Mittag, wo bleibt Abrechnung, wo bleibt die Abrechnung". "Herr Mittag, wo bleibt die Abrechnung".
So, dann neues - äh - Spruchband: "Keine ..."
[Geräusche, als ob die Aufnahme gestoppt wird, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Neues Transparent - äh - "Keine Zwang ..."
Neues Plakat, also, hier, Spruchband: "Scheiden tut weh, auch Führungsanspruch SED".
Nächstes - äh - Spruchband: "Sicheres Ende Deutschlands deshalb sehr dringend ..." Was heißt das? "Sehr dringend Pluralismus", ja.
[MfS-Mitarbeiter 2:]
Zivildienst!
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Neues Transparent: "40 Jahre Impotenz fordern volle Konsequenz".
Neues Transparent: "Zivildienst ist Friedensdienst".
So, jetzt kommt'n Sprechchor: "Schämt euch, schämt euch".
Neues Transparent - äh - was steht da? "Gegenüber der Vergangenheit", nee.
[MfS-Mitarbeiter 2:]
"Gegenüber der Vergangenheit"
[MfS-Mitarbeiter 1:]
"Grundübel der Vergangenheit" heißt das, "Grundübel der Vergangenheit, die führende Rolle der SED".
Und dann auf einem - äh - Plakat: "Führungsanspruch der SED, ein Privileg muss fallen".
So, hier vor der Tür nach wie vor Stau, Hochgucken zu den Kameras, zu den Fenstern.
[MfS-Mitarbeiter 2:]
Gründübel der Vergangenheit, haste, ne?
[Im Hintergrund wieder Gesänge "Stasi in die Produktion"]
[MfS-Mitarbeiter 1:]
So, und dann auf einem Plakat: "Wer das Massaker von Peking billigt, darf nicht regieren". Dann kommt ein kleines Plakat "SDP".
[MfS-Mitarbeiter 2:]
"Führungsanspruch der SED, ein Privileg muss fallen"]
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Na, das hab' ich doch längst, Mann!
[MfS-Mitarbeiter 2:]
Na, das weiß ich doch nicht!
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Ich lese doch immer da hinten schon!
[Geräusche, als ob die Aufnahme gestoppt wird, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 1:]
So, dann sind da mehrere SDP-Schildchen, dazwischen da so'n Spruchband: "Arbeiteraristokraten haben uns verraten".
Neues Transparent: "Die Führungsrolle der SED tut uns seit 40 Jahren weh".
"Neues Forum" - äh - "Warnemünde", ja, Warnemünde steht da noch drunter, "Neues Forum Warnemünde".
[Sprechchöre im Hintergrund]
[MfS-Mitarbeiter 1:]
So, jetzt wieder: "Schämt euch".
Immer wieder Aufleuchten von Blitzen. Blitzlicht.
[Im Hintergrund nun Buhrufe und Pfeifen der Demonstranten]
[MfS-Mitarbeiter 2:]
Janka, is och noch so'n ... Haste? Heißt Janka, wir wollen Heym.
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Neues Plak-, neues, neues Spruchband: "Wir fordern öffentliche Entschuldigung bei Stefan Heym und Walter Janka".
[Wieder Sprechchöre im Hintergrund:]
Schämt euch!
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Neues Spruchband: "SED sag' Ade, freie Wahlen jetzt".
Dann so'ne übereinander angebrachte Kombination von Verkehrsschildern, obendrauf - äh - Geschwindigkeitsbegrenzung vierzig, da drunter Wenden verboten, da drunter fünfzehn Prozent Gefälle, da drunter Sackgasse.
So, dann kommt'n Transparent: "Für Demokratie an den Hochschulen".
[MfS-Mitarbeiter 2:]
"SED, sag' Ade", haste dat?
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Dann kommen hier kleine Schildchen mit der Aufschrift: "Bestrafung den Parteischmarotzern".
[Geräusche, als ob die Aufnahme gestoppt wird, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 1:]
So, een Ding noch. Am Schluß des Zuges, n'Schild: "Volksbildung frei von Ideologie".
[Geräusche, als ob die Aufnahme gestoppt wird, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 1:]
So, hier wird noch ne Fahne geschwenkt vor'm Haupteingang, rote Fahne mit einem - pfff - ja, mit'm Stern drauf, mit'm fünfzackigen Stern, aber welche Farbe der Stern hat, des kann man nich ausmachen von hier. Sieht dunkel aus.
[MfS-Mitarbeiter 2:]
Videokamera ...
[MfS-Mitarbeiter 1:]
Ja, es war so'n schwarzer Stern.
[Ende der Aufnahme auf der ersten Seite der Kassette, Fortsetzung auf der zweiten mit einem dritten Sprecher. Im Hintergrund ist der erste Sprecher noch zu hören]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
Losung: "Deutschland einig Vaterland".
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
Losung: "Kohls Deutschlandplan ist diskussionswürdig".
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
"Arbeite mit, plane mit, regiere mit, freie Wahlen".
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
Losung: "Egon, wenn Du es ehrlich meinst: Kampfgruppen weg."
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
Losung: "Aus einer schmutzigen Quelle kann man kein sauberes Wasser schöpfen".
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
Losung: "Stasi, wie teuer bist du uns".
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
Losung: "Freie Wahlen".
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
Losung: "SED Führungsanspruch, Wendehälse, Demokratie".
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
Losung: "Friede, Freue" - äh - "Freude Eierkuchen, wir wollen mehr als Reisen buchen".
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
Plakat mit Foto Erich Honecker, darunter steht: "Wir vergessen dich nicht".
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
Losung: "Brot für die Welt, statt Soligeld"
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
Losung: "Die echte Alternative SDP"
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
"Totale Entmilitarisierung der DDR"
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
Korrektur, da drüber steht: "Für die", und links daneben: "Schwerter zu Flugscharen".
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
Undeutlich lesbar: "Bestrafung der stalinistischen Verbrecher und Volksbe-"
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
Losung: "Volksentscheidung Wiedervereinigung", Ausrufezeichen, Fragezeichen, BRD-Flagge
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
"Waffenhandel in Kawelsdorf", Fragezeichen.
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
Losung: "Rücktritt und Bestrafung", jetzt undeutlich lesen, und dann:" Volksverbrecher"
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
Losung: "Wir fordern sofortige Auflösung der Kampftruppen".
[Aufnahmestopp, dann weiter]
[MfS-Mitarbeiter 3:]
"Pässe für alle, Laufpässe für die SED".
Die Umwandlung des MfS in ein AfNS erfolgte im Zusammenhang mit der Neubildung der Regierung durch Ministerpräsident Hans Modrow am 17./18.11.1989. Zum Leiter des Amtes wurde Schwanitz gewählt. War Mielke als Minister für Staatssicherheit noch dem Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR und faktisch dem SED-Generalsekretär unterstellt gewesen, so ordnete man Schwanitz dem Vorsitzenden des Ministerrates unter. In der Regierungserklärung wurde dem neuen Amt vorgegeben, dass »neues Denken in Fragen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit« auch von diesem Bereich erwartet werde und dass der Apparat zu verkleinern sei. Näheres hätte in einem Gesetz geregelt werden müssen, das geplant wurde, aber nie verabschiedet worden ist. Noch am Tag seiner Wahl informierte der neue Amtschef die Mitarbeiter der Staatssicherheit, dass der »Prozess der revolutionären Erneuerung« vorbehaltlos zu unterstützen sei. Kommissionen zur Neustrukturierung wurden eingerichtet und die Diensteinheiten aufgefordert, eigene Vorschläge einzubringen. Dies waren Versuche einer technokratischen Reform, die von der alten Generalsriege angeleitet wurden. Angekündigt wurde, das Personal abzubauen – zuerst ging es um 10 %, zwei Wochen später war die Vorgabe bereits eine Reduktion um 50 %. Das alte Feindbild sollte nicht mehr gelten: »Andersdenkende« seien jetzt zu tolerieren, nur »Verfassungsfeinde« zu bekämpfen. Unklar blieb, wer Letzteren in einer Zeit zuzurechnen war, in der die Verfassung selbst zur Disposition stand. Zugleich wurde die Aktenvernichtung in diesen Wochen fortgesetzt, viele inoffizielle Mitarbeiter »abgeschaltet«. Die Mitarbeiter waren zunehmend verunsichert und demotiviert. Anfang Dezember beschleunigte sich der revolutionäre Umbruch: Am 1.12.1989 wurde die führende Rolle der SED aus der Verfassung gestrichen, am 3. trat das ZK der SED zurück, am 4. und 5.12. besetzten aufgebrachte Bürger KD und Bezirksämter des AfNS. Die Stasi-Mitarbeiter leisteten keinen gewaltsamen Widerstand. Am 5.12. trat das Kollegium des AfNS zurück. In den folgenden Tagen wurden die Leiter der meisten Hauptabteilungen und der Bezirksämter abgesetzt. Am 7.12.1989 forderte der Zentrale Runde Tisch die Auflösung des AfNS – auch mit den Stimmen der SED-Sprecher. Am 14.12. wurde durch den Ministerrat beschlossen, das AfNS aufzulösen und durch einen sehr viel kleineren Verfassungsschutz (ca. 10 000 Mitarbeiter) und einen mit ca. 4000 Mitarbeitern gegenüber der HV A fast unveränderten Nachrichtendienst zu ersetzen. In diese Dienste sollten keine ehemaligen Führungskader der Staatssicherheit übernommen werden. Parallel dazu bestand aber das »AfNS in Auflösung« fort, dessen Leiter den alten Apparat abwickeln sollten. Das war eine Ambivalenz, die das allgemeine Misstrauen weiter verstärkte und die Forderung nach vollständiger Auflösung der Geheimpolizei wieder lauter werden ließ.
Die Umwandlung des MfS in ein AfNS erfolgte im Zusammenhang mit der Neubildung der Regierung durch Ministerpräsident Hans Modrow am 17./18.11.1989. Zum Leiter des Amtes wurde Schwanitz gewählt. War Mielke als Minister für Staatssicherheit noch dem Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungsrates der DDR und faktisch dem SED-Generalsekretär unterstellt gewesen, so ordnete man Schwanitz dem Vorsitzenden des Ministerrates unter. In der Regierungserklärung wurde dem neuen Amt vorgegeben, dass »neues Denken in Fragen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit« auch von diesem Bereich erwartet werde und dass der Apparat zu verkleinern sei. Näheres hätte in einem Gesetz geregelt werden müssen, das geplant wurde, aber nie verabschiedet worden ist. Noch am Tag seiner Wahl informierte der neue Amtschef die Mitarbeiter der Staatssicherheit, dass der »Prozess der revolutionären Erneuerung« vorbehaltlos zu unterstützen sei. Kommissionen zur Neustrukturierung wurden eingerichtet und die Diensteinheiten aufgefordert, eigene Vorschläge einzubringen. Dies waren Versuche einer technokratischen Reform, die von der alten Generalsriege angeleitet wurden. Angekündigt wurde, das Personal abzubauen – zuerst ging es um 10 %, zwei Wochen später war die Vorgabe bereits eine Reduktion um 50 %. Das alte Feindbild sollte nicht mehr gelten: »Andersdenkende« seien jetzt zu tolerieren, nur »Verfassungsfeinde« zu bekämpfen. Unklar blieb, wer Letzteren in einer Zeit zuzurechnen war, in der die Verfassung selbst zur Disposition stand. Zugleich wurde die Aktenvernichtung in diesen Wochen fortgesetzt, viele inoffizielle Mitarbeiter »abgeschaltet«. Die Mitarbeiter waren zunehmend verunsichert und demotiviert. Anfang Dezember beschleunigte sich der revolutionäre Umbruch: Am 1.12.1989 wurde die führende Rolle der SED aus der Verfassung gestrichen, am 3. trat das ZK der SED zurück, am 4. und 5.12. besetzten aufgebrachte Bürger KD und Bezirksämter des AfNS. Die Stasi-Mitarbeiter leisteten keinen gewaltsamen Widerstand. Am 5.12. trat das Kollegium des AfNS zurück. In den folgenden Tagen wurden die Leiter der meisten Hauptabteilungen und der Bezirksämter abgesetzt. Am 7.12.1989 forderte der Zentrale Runde Tisch die Auflösung des AfNS – auch mit den Stimmen der SED-Sprecher. Am 14.12. wurde durch den Ministerrat beschlossen, das AfNS aufzulösen und durch einen sehr viel kleineren Verfassungsschutz (ca. 10 000 Mitarbeiter) und einen mit ca. 4000 Mitarbeitern gegenüber der HV A fast unveränderten Nachrichtendienst zu ersetzen. In diese Dienste sollten keine ehemaligen Führungskader der Staatssicherheit übernommen werden. Parallel dazu bestand aber das »AfNS in Auflösung« fort, dessen Leiter den alten Apparat abwickeln sollten. Das war eine Ambivalenz, die das allgemeine Misstrauen weiter verstärkte und die Forderung nach vollständiger Auflösung der Geheimpolizei wieder lauter werden ließ.
Vorgangsart von 1953 bis 1960. In Beobachtungsvorgängen wurden Personen erfasst, die als potenziell oder tatsächlich politisch unzuverlässig oder feindlich eingestellt galten und daher vorbeugend beobachtet wurden. Dazu gehörten etwa ehemalige NS-Funktionsträger, ehemalige Sozialdemokraten, Teilnehmer an den Aktionen des 17. Juni 1953 sowie Personen, die aus dem Westen zugezogen waren. Die Vorgangsart verlor nach und nach an Bedeutung. 1960 gingen noch bestehende Beobachtungsvorgänge in den zugehörigen Objektvorgängen auf. Der Beobachtungsvorgang war zentral in der Abteilung XII zu registrieren, die betroffenen Personen in der zentralen Personenkartei F 16 zu erfassen.
Vorgangsart von 1953 bis 1960. In Beobachtungsvorgängen wurden Personen erfasst, die als potenziell oder tatsächlich politisch unzuverlässig oder feindlich eingestellt galten und daher vorbeugend beobachtet wurden. Dazu gehörten etwa ehemalige NS-Funktionsträger, ehemalige Sozialdemokraten, Teilnehmer an den Aktionen des 17. Juni 1953 sowie Personen, die aus dem Westen zugezogen waren. Die Vorgangsart verlor nach und nach an Bedeutung. 1960 gingen noch bestehende Beobachtungsvorgänge in den zugehörigen Objektvorgängen auf. Der Beobachtungsvorgang war zentral in der Abteilung XII zu registrieren, die betroffenen Personen in der zentralen Personenkartei F 16 zu erfassen.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
Regime, auch Regimeverhältnisse, bezeichnet die Gesamtheit der Verhältnisse und Lebensbedingungen eines Landes oder geographischen Raumes (z. B. politische Entwicklungen, administrative Strukturen, kulturelle Besonderheiten, behördliche Sicherheitsvorkehrungen), deren Kenntnis für ein effektives und unauffälliges nachrichtendienstliches Handeln notwendig war. Mit diesen Kenntnissen sollten vor allem das IM-Netz im Westen und der grenzüberschreitende Agentenreiseverkehr geschützt werden.
So sollten IM im Westeinsatz wissen, wie die bundesdeutsche Spionageabwehr arbeitete, wie streng Meldeformalitäten in Hotels gehandhabt wurden, wie man sich als durchschnittlicher Bundesbürger verhielt usw. Die Abteilung VI der HV A hatte die Aufgabe, systematisch Informationen über das Regime im Operationsgebiet zu sammeln und in der SIRA-Teildatenbank 13 nachzuweisen.
Regime, auch Regimeverhältnisse, bezeichnet die Gesamtheit der Verhältnisse und Lebensbedingungen eines Landes oder geographischen Raumes (z. B. politische Entwicklungen, administrative Strukturen, kulturelle Besonderheiten, behördliche Sicherheitsvorkehrungen), deren Kenntnis für ein effektives und unauffälliges nachrichtendienstliches Handeln notwendig war. Mit diesen Kenntnissen sollten vor allem das IM-Netz im Westen und der grenzüberschreitende Agentenreiseverkehr geschützt werden.
So sollten IM im Westeinsatz wissen, wie die bundesdeutsche Spionageabwehr arbeitete, wie streng Meldeformalitäten in Hotels gehandhabt wurden, wie man sich als durchschnittlicher Bundesbürger verhielt usw. Die Abteilung VI der HV A hatte die Aufgabe, systematisch Informationen über das Regime im Operationsgebiet zu sammeln und in der SIRA-Teildatenbank 13 nachzuweisen.
Schulungskassette zu einer Wohngebietsermittlung im Bezirk Rostock Audio, 27 Minuten, 55 Sekunden
Festnahmen am Berliner Alexanderplatz Video, 17 Minuten, 47 Sekunden
Dienstkonferenz im Bezirksamt Karl-Marx-Stadt nach der Besetzung von Stasi-Dienststellen Audio, 30 Minuten, 33 Sekunden
Diskussion von Mitarbeitern der BV Cottbus zu aktuellen politischen Problemen Audio, 1 Stunde, 18 Minuten, 51 Sekunden