Analyse zum Volksaufstand im Bezirk Karl-Marx-Stadt
Signatur: BStU, MfS, BV Karl-Marx-Stadt, Abt. XX, Nr. 301, Bl. 1-74
Die Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Karl-Marx-Stadt dokumentierte die Ereignisse in ihrem Bezirk während des Volksaufstands vom 17. Juni 1953. Im Vergleich zu anderen Bezirken verzeichnete die Staatssicherheit hier weitaus weniger Streiks und Demonstrationen.
Vom 16. bis 21. Juni 1953 kam es in fast 700 Städten und Gemeinden der DDR zu Demonstrationen und Streiks. Begann der 17. Juni noch als Arbeiteraufstand, entwickelte er sich schnell zum Volksaufstand weiter. Er nahm vielerorts revolutionäre Züge an, bevor er mit Hilfe von russischen Panzern unterdrückt wurde. SED und Stasi bezeichneten die Vorkommnisse offiziell als einen vom westlichen Ausland gesteuerten "Putschversuch faschistischer Agenten und Provokateure".
Während in anderen Regionen in Sachsen hunderte Betriebe bestreikt wurden, kam es im Bezirk Karl-Marx-Stadt am 17. Juni 1953 zu weitaus weniger Streiks und Demonstrationen. Dabei war es bereits Ende Mai in der Stadt zu mehreren Streiks in größeren Betrieben gekommen, die bis zum 15. Juni immer wieder in unterschiedlicher Intensität aufflammten. So legte am 1. Juni im VEB NAGEMA ein Viertel der 1.600 Beschäftigten für acht Stunden die Arbeit nieder. Diesem Streik schlossen sich am 2. Juni 120 und am 3. Juni 150 Arbeiter des Schleifmaschinenwerks an, die für etwa zwei Stunden die Arbeit ruhen ließen.
Am 17. Juni kam es schließlich in den Betrieben VEB Vereinigte Gießereien, VEB Textima, Büromaschinenwerk und im VEB Schleifmaschinenbau zu Streiks. Im Stadtgebiet verteilten Protestierende Flugblätter und brachten Parolen an Häuserwänden an, die zum Sturz der Regierung aufriefen. Weitere Forderungen der Streikbewegung waren neben der Rücknahme der Normenerhöhung freie Wahlen, eine Freilassung politischer Häftlinge und die Rückkehr sämtlicher noch in Gefangenschaft befindlicher Kriegsgefangener.
Die Streiks der vergangenen Wochen hatte die SED-Bezirksleitung in Karl-Marx-Stadt jedoch wachsam gemacht. Im Gegensatz zu den Funktionären anderer Städte hatte sie sich auf eventuelle Streiks und Unruhen vorbereitet und konnte größere Proteste schon im Ansatz vereiteln. In der Zeit vom 16. bis 25. Juni wurden im Bezirk Karl-Marx-Stadt 34 Personen festgenommen. Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt zeigten ihren Unmut deshalb erst zehn Tage später. Als die SED die Bevölkerung von Karl-Marx-Stadt zu einer Kundgebung auf den Marktplatz beorderte, kamen statt der üblichen 75.000 bis 100.000 lediglich 3.000 Personen, die daran teilnahmen. Als die SED-Funktionäre die Erschienenen aufforderten, sich in bereitliegende Listen einzutragen und so nachvollziehbar zu machen, wer ferngeblieben war, weigerten sich die Bürgerinnen und Bürger.
Trotzdem zeigte sich die Bezirksverwaltung der Stasi in der vorliegenden Analyse der Vorkommnisse zufrieden: "Alle vorgekommenen Streik-, Flugblatt- und Schmieraktionen blieben isoliert. Eine terroristische Tätigkeit, Sabotage größerer Art oder Demonstrationen fanden nicht statt."
Metadaten
- Diensteinheit:
- Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt, Leiter
- Datum:
- 24.6.1953
- Rechte:
- BStU
- Überlieferungsform:
- Dokument
1.) [anonymisiert]- Streikleitung
2.) [anonymisiert]- Mitorganisator
3.) [anonymisiert]- Streikleitung
4.) [anonymisiert]- Streileitung
5.) [anonymisiert]- Streikleitung
6.) [anonymisiert]- Streikleitung
7.) [anonymisiert]- Streikleitung
8.) Funke- Provokateur
[Die Aufzählungen 6 bis 8 wurden handschriftlich markiert.]
[anonymisiert] ist als Organisator des Streikes anzusprechen. Er gehörte von 1943 - 1945 der fasch. SS an und hatte zuletzt den Dienstgrad eines Fähnrichs inne. [anonymisiert] beauftragte den mit inhaftierten [anonymisiert] sowie den als GI angeworbenen [anonymisiert] und den noch nicht inhaftierten [anonymisiert] mit der Vorbereitung des Streiks in der Weise, indem er durch die genannten Personen die einzlnen Abteilungen benachrichtigen ließ und zum Streik auffordern ließ. [anonymisiert], [anonymisiert], [anonymisiert], [anonymisiert] und [anonymisiert] traten als Wortführer während der Streikversammlung auf und stellten nach den wirtschaftlichen die politischen Forderungen. Die hauptsächlichsten Forderungen waren:
1.) Herabsetzung der Normen auf den Stand vom 31.12.1952
2.) Rücktritt der Regierung der DDR
3.) Durchführung "Freier Wahlen"
4.) Aufhebung des Ausnahmezustandes
5.) Freilassung aller pol. Häftlinge
6.) Rückkehr sämtlicher noch in. Gefangenschaft befindlichen Kriegsgefangenen.
Die unter Punkt 5 und 6 genannten Forderungen stellte vor allen Dingen der Häftling [anonymisiert]. Ferner hat er 1950/51 die Verbindung zur Agentur des Hetzsenders Rias aufgenommen und den Auftrag erhalten, einen VP.-Angehörigen dem RIAS zuzuleiten. Er bestreitet die Durchführung dieses Auftrages.