Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 4256, Bl. 18-25
Ein Bericht der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe stellt fest: Die Stimmung unter den Ausreisewilligen unterscheidet sich nicht wesentlich von jener der restlichen Bevölkerung.
Im ersten Halbjahr 1989 hatten über 100.000 Bürger Anträge darauf gestellt, aus der DDR in die Bundesrepublik überzusiedeln. Nach bisherigen Erfahrungen würden sie Monate, wenn nicht Jahre auf eine Genehmigung warten müssen. Doch plötzlich eröffnete sich eine neue Möglichkeit: Ungarn begann im Mai 1989 die Grenzanlagen nach Österreich abzubauen und damit durchlässiger zu machen. Zugleich wurden DDR-Bürger, die bei einem Fluchtversuch in den Westen festgenommen worden waren, nur noch in seltenen Fällen in ihr Herkunftsland abgeschoben.
Die ersten Wagemutigen riskierten im Juni und Juli 1989 den immer noch gefährlichen Weg über die "grüne Grenze". Noch im August wurde ein DDR-Bürger an dieser Grenze erschossen. Andere suchten die bundesdeutschen Botschaften in Budapest und in Prag in der Hoffnung auf, von dort in die Bundesrepublik abgeschoben zu werden. Aus Dutzenden wurden bald Hunderte, aus Hunderten Tausende und Zehntausende.
Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe versuchte, die Motive der Flüchtenden herauszuarbeiten. Der vorliegende Bericht thematisiert die Stimmung unter den Ausreisewilligen. Die Kernbotschaft dieses Papiers ist, dass diese sich nicht wesentlich von jener der restlichen Bevölkerung unterschied.
Die Anhänger des Regimes, die "progressiven Kräfte", aber würden darauf mit "Besorgnis und Beunruhigung bis hin zu Verunsicherung" reagieren und kaum mehr wagen, dem zu widersprechen. Sie warteten darauf, dass von der SED-Führung "schnellstmöglich Maßnahmen einleitet, die zur Überwindung bestehender Probleme in der DDR führen".
Wenn die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe als das Gehirn der Staatssicherheit solche Forderungen "progressiven Kräften" in den Mund legt, kann man davon ausgehen, dass damit nicht zuletzt die intelligenteren Stasi-Offiziere selbst gemeint waren.
im Arbeits-, Wohn- und Freizeitbereich, in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen.
Zwar sei auf zentraler Ebene eine Vielzahl Beschlüsse zu deren Beseitigung gefaßt worden, diese hätten jedoch keine spürbaren Veränderungen gebracht. Das habe in beachtlichem Umfang zu Auffassungen/Haltungen geführt, es ändere sich auf lange Sicht nichts für den Bürger, die Partei- und Staatsführung kenne nicht die Probleme, die die Bevölkerung bewegen.
In der Mehrzahl der Diskussionen und Meinungsäußerungen wird dabei ein enger Zusammenhang hergestellt zu den immer wieder genannten Hauptgründen für die Entschlußfassung zum ungesetzlichen Verlassen der DDR bzw. zur Antragstellung auf ständige Ausreise.
Als Hauptgründe werden genannt:
1. Probleme in der Versorgung der Bevölkerung
In beachtlichem Umfang wird die Auffassung vertreten, die Bedürfnisse der Bevölkerung - bezogen auf die Versorgung, die Dienstleistungen und die medizinische Grundversorgung - würden nur unzureichend befriedigt.
Insbesondere die "gravierenden" Mängel hinsichtlich der bedarfs-, sortiments- und qualitätsgerechten Bereitstellung von Waren, die als unerträglich empfundenen Wartezeiten für den Neuerwerb von Pkw, die "indiskutable" Versorgung mit Ersatzteilen sowie die ständigen Mängel im Sortiment "1.000 kleine Dinge" hätten dazu geführt, daß der Sozialismus im Vergleich zum Kapitalismus als "nicht attraktiv" bewertet wird. Vielfach werden derartige Auffassungen durch Eindrücke von Reisen in die BRD und nach Westberlin sowie durch den fortgesetzten Empfang westlicher Medien, in denen die westliche Lebensweise und das Konsumangebot verherrlicht werden, noch bekräftigt.
Straftaten gegen die staatliche Ordnung
Straftaten gegen die staatliche Ordnung waren Straftatbestände des 8. Kapitels des StGB/1968. Insbesondere der 2. Abschnitt ("Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung") enthält politische Strafnormen, die für die strafrechtliche Untersuchungstätigkeit der Staatssicherheit (Untersuchungsorgan) von großer Bedeutung waren.
Das gilt vor allem für § 213 ("Ungesetzlicher Grenzübertritt"), der in der Honecker-Ära Grundlage von rund der Hälfte aller MfS-Ermittlungsverfahren war. Auch § 214 ("Beeinträchtigung staatlicher und gesellschaftlicher Tätigkeit") spielte, vor allem im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Ausreiseantragstellern, in den 80er Jahren eine immer wichtigere Rolle.
Ähnliches gilt für § 219 ("Ungesetzliche Verbindungsaufnahme") und § 220 ("Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung"), die die ähnlichen, aber schwerer wiegenden Strafnormen aus dem 2. Kapitel des StGB/1968 § 100 ("Staatsfeindliche Verbindungen", ab 1979 "Landesverräterische Agententätigkeit") und § 106 ("Staatsfeindliche Hetze") weitgehend verdrängten (Staatsverbrechen).
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 4256, Bl. 18-25
Ein Bericht der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe stellt fest: Die Stimmung unter den Ausreisewilligen unterscheidet sich nicht wesentlich von jener der restlichen Bevölkerung.
Im ersten Halbjahr 1989 hatten über 100.000 Bürger Anträge darauf gestellt, aus der DDR in die Bundesrepublik überzusiedeln. Nach bisherigen Erfahrungen würden sie Monate, wenn nicht Jahre auf eine Genehmigung warten müssen. Doch plötzlich eröffnete sich eine neue Möglichkeit: Ungarn begann im Mai 1989 die Grenzanlagen nach Österreich abzubauen und damit durchlässiger zu machen. Zugleich wurden DDR-Bürger, die bei einem Fluchtversuch in den Westen festgenommen worden waren, nur noch in seltenen Fällen in ihr Herkunftsland abgeschoben.
Die ersten Wagemutigen riskierten im Juni und Juli 1989 den immer noch gefährlichen Weg über die "grüne Grenze". Noch im August wurde ein DDR-Bürger an dieser Grenze erschossen. Andere suchten die bundesdeutschen Botschaften in Budapest und in Prag in der Hoffnung auf, von dort in die Bundesrepublik abgeschoben zu werden. Aus Dutzenden wurden bald Hunderte, aus Hunderten Tausende und Zehntausende.
Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe versuchte, die Motive der Flüchtenden herauszuarbeiten. Der vorliegende Bericht thematisiert die Stimmung unter den Ausreisewilligen. Die Kernbotschaft dieses Papiers ist, dass diese sich nicht wesentlich von jener der restlichen Bevölkerung unterschied.
Die Anhänger des Regimes, die "progressiven Kräfte", aber würden darauf mit "Besorgnis und Beunruhigung bis hin zu Verunsicherung" reagieren und kaum mehr wagen, dem zu widersprechen. Sie warteten darauf, dass von der SED-Führung "schnellstmöglich Maßnahmen einleitet, die zur Überwindung bestehender Probleme in der DDR führen".
Wenn die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe als das Gehirn der Staatssicherheit solche Forderungen "progressiven Kräften" in den Mund legt, kann man davon ausgehen, dass damit nicht zuletzt die intelligenteren Stasi-Offiziere selbst gemeint waren.
Zunehmend wird - teilweise in sehr abfälliger Form - darüber gesprochen,
2. Die vielfältigen komplizierten Probleme in der Volkswirtschaft
[Der folgenden Abschnitt wurde über rinrn anderen Textabschnitt geklebt.]
Unzulänglichkeiten im Produktionsprozeß, hauptsächlich unkontinuierliche Materialzulieferungen und damit verbundene Störungen des Produktionsrhythmus, der physisch und moralisch verschlissene Zustand von Maschinen, Anlagen, Produktionsgebäuden, von Transport- und Landtechnik, bilden für die Werktätigen immer mehr Anlaß für sich verschärfende kritische Diskussionen.
Dabei werden zunehmend Auffassungen vertreten, daß die Ursachen dafür in einer nicht den Anforderungen entsprechenden und unzureichenden Effektivität der Wirtschaftsführung lägen die sozialistische Planwirtschaft nicht genügend funktioniere, Produktionsprozesse nicht selten nur noch mit operativen Entscheidungen aufrechterhalten werden könnten. Der Aufwand zur operativen Beschaffung notwendiger Maschinen, Ausrüstungen und Materialien für Industrie und Landwirtschaft werde immer größer.
Mit Nachdruck wird verwiesen auf negative Auswirkungen von fehlenden bzw. schleppend realisierten Investitionen zur Reproduktion von Produktions- und Grundmitteln in den Kombinaten und Betrieben.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 4256, Bl. 18-25
Ein Bericht der Zentralen Auswertungs- und Informationsgruppe stellt fest: Die Stimmung unter den Ausreisewilligen unterscheidet sich nicht wesentlich von jener der restlichen Bevölkerung.
Im ersten Halbjahr 1989 hatten über 100.000 Bürger Anträge darauf gestellt, aus der DDR in die Bundesrepublik überzusiedeln. Nach bisherigen Erfahrungen würden sie Monate, wenn nicht Jahre auf eine Genehmigung warten müssen. Doch plötzlich eröffnete sich eine neue Möglichkeit: Ungarn begann im Mai 1989 die Grenzanlagen nach Österreich abzubauen und damit durchlässiger zu machen. Zugleich wurden DDR-Bürger, die bei einem Fluchtversuch in den Westen festgenommen worden waren, nur noch in seltenen Fällen in ihr Herkunftsland abgeschoben.
Die ersten Wagemutigen riskierten im Juni und Juli 1989 den immer noch gefährlichen Weg über die "grüne Grenze". Noch im August wurde ein DDR-Bürger an dieser Grenze erschossen. Andere suchten die bundesdeutschen Botschaften in Budapest und in Prag in der Hoffnung auf, von dort in die Bundesrepublik abgeschoben zu werden. Aus Dutzenden wurden bald Hunderte, aus Hunderten Tausende und Zehntausende.
Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe versuchte, die Motive der Flüchtenden herauszuarbeiten. Der vorliegende Bericht thematisiert die Stimmung unter den Ausreisewilligen. Die Kernbotschaft dieses Papiers ist, dass diese sich nicht wesentlich von jener der restlichen Bevölkerung unterschied.
Die Anhänger des Regimes, die "progressiven Kräfte", aber würden darauf mit "Besorgnis und Beunruhigung bis hin zu Verunsicherung" reagieren und kaum mehr wagen, dem zu widersprechen. Sie warteten darauf, dass von der SED-Führung "schnellstmöglich Maßnahmen einleitet, die zur Überwindung bestehender Probleme in der DDR führen".
Wenn die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe als das Gehirn der Staatssicherheit solche Forderungen "progressiven Kräften" in den Mund legt, kann man davon ausgehen, dass damit nicht zuletzt die intelligenteren Stasi-Offiziere selbst gemeint waren.
Einen absoluten Schwerpunkt in den Diskussionen bilden Probleme der Anwendung und Durchsetzung des Leistungsprinzips in allen gesellschaftlichen Bereichen. Die strikte Durchsetzung des sozialistischen Leistungsprinzips wird dabei als entscheidende Voraussetzung für die Verbesserung der Lage in der Volkswirtschaft angesehen.
Von Wirtschaftskadern in Kombinaten und Betrieben wird dahingehend argumentiert, unser gesamtes ökonomisches System sei nicht zwingend genug auf Leistung orientiert. Die Notwendigkeit einer strikten Anwendung des Leistungsprinzips sei zwar theoretisch begründet, es werde aber nicht genügend praxiswirksam.
Die angewandten Bewertungsmaßstäbe für erbrachte Leistungen seien nicht wirksam genug. Eine effektive Stimulierung zu hohen Arbeitsergebnissen fehle häufig. Verbreitet sei es so, daß jeder sein Geld bekomme, ob er viel oder wenig gearbeitet habe. Negative Auswirkungen dieser Situation zeigten sich immer deutlicher in abnehmender Leistungsbereitschaft und nachlassender Arbeitsdisziplin, insbesondere bei Jugendlichen, sowie in einer zunehmenden Scheu bei Werktätigen, Verantwortung zu übernehmen.
Insbesondere im Zusammenhang mit der Vorbereitung des XII. Parteitages der SED bestehen in ausgeprägter Form Erwartungshaltungen hinsichtlich zwingender Maßnahmen zur Anwendung und Durchsetzung des Leistungsprinzips in allen gesellschaftlichen Bereichen.
3. Reisemöglichkeiten von DDR-Bürgern
[Der folgenden Abschnitt wurde über das Blatt geklebt.]
Die bestehenden Reisemöglichkeiten für DDR-Bürger werden in breiten Teilen der Bevölkerung als unbefriedigend bewertet, wobei in erster Linie Vergleiche angestellt werden zu Reisemöglichkeiten für BRD-Bürger.
[Die folgenden Abschnitte wurde über das Blatt geklebt.]
Hauptsächlich Jugendliche äußern Unzufriedenheit bezüglich beschränkter Reisemöglichkeiten in das nichtsozialistische Ausland. Sie wollen nicht erst"bis zur Rente warten': argumentieren sie, um in andere Länder reisen zu können.
Es wird aber auch verwiesen auf großzügigere Regelungen, die in anderen sozialistischen Staaten im Ergebnis des KSZE-Prozesses eingeführt worden seien.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Hinweise auf Reaktionen von SED-Mitgliedern und Funktionären auf die Lage in der DDR Dokument, 8 Seiten
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Meinungen aus der DDR-Bevölkerung zu den bevorstehenden Kommunalwahlen 1989 Dokument, 8 Seiten