Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5198, Bl. 100-140
In einem Gespräch mit dem stellvertretenden KfS-Vorsitzenden Leonid Schebarschin vom April 1989 beklagte Minister Mielke die Auflösung des "sozialistischen Lagers".
Im April 1989 besuchte der Leiter der Spionageabteilung des sowjetischen Komitee für Staatssicherheit (KfS), Generalmajor Leonid Schebarschin, den Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, in Ost-Berlin. Mielke nutzte die Gelegenheit, um seiner Frustration und seinen Ängsten wegen der sowjetischen Reformpolitik und den Veränderungen in Polen und Ungarn Ausdruck zu verleihen. Das Gesprächsprotokoll macht deutlich, wie die internationale Lage im Frühjahr 1989 durch die MfS-Führung eingeschätzt wurde.
Mielke redete zu Beginn des Treffens über eine Stunde lang auf seinen Gast ein. Vor allem beklagte er die Auflösung des "sozialistischen Lagers": Zu verzeichnen sei eine "weitere Differenzierung zwischen den sozialistischen Ländern", besonders zwischen der UdSSR und der DDR, aber auch zwischen anderen Ländern.
Mielke schimpfte besonders über die Liberalisierung in Ungarn und Polen, meinte aber gewiss auch die Sowjetunion und ermahnt den sowjetischen Genossen: "Wir sind besorgt über ungenügende Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe der Feinde. Unseres Erachtens ist es notwendig, dass in den sozialistischen Staaten wieder ganz klare Positionen zum Entstehen und Wirken antisozialistischer Gruppierungen, besonders zur Notwendigkeit ihrer konsequenten Bekämpfung, bezogen werden."
Die Forderung nach "Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe" stellte eine unverhüllte Kritik an der sowjetischen Liberalisierungspolitik dar. Ihr nachzugeben würde einen Kurswechsel in der Sowjetunion bedeuten, der ein Triumph der Hardliner gegenüber den Reformern wäre und die Perestrojka politisch ruinieren würde. Ohne einen solchen Kurswechsel aber würde die DDR-Führung mit ihrem Bemühen, das alte Regime wieder zu stabilisieren, ziemlich allein da stehen. Nur in Rumänien und - mit gewissen Einschränkungen - in der Tschechoslowakei wurde ähnlich starr am alten Regime festgehalten.
Mielkes Gesprächspartner hörte sich alle Vorwürfe schweigend an und macht Mielke keinerlei Hoffnungen, dass sich der Kurs der sowjetischen Reformer ändern würde.
Es wird organisiert und angestrengt gearbeitet. Die LPG war sehr beeindruckend. Auch der sehr energische 1. Sekretär der KL Meißen.
Wir haben auch gesehen, daß der Sozialismus nicht auf einmal aufgebaut wurde, daß es auch schwer war. Wir haben gesehen, welche kolossale Arbeit die Partei geleistet hat.
Wir haben gesehen, unter welch komplizierten Bedingungen sie leben und arbeiten. Wir waren am Brandenburger Tor, sahen den Imperialismus als Realität, waren im Traditionskabinett.
Dies hat auf uns einen großen Eindruck gemacht, besonders die politische, die wissenschaftlich-technische Arbeit der Tschekisten. Wir haben die feste Absicht, die Zusammenarbeit mit dem MfS der DDR weiter auszubauen und zu festigen, auf der Grundlage der Prinzipien des Internationalismus und im Interesse des Sozialismus und unserer gemeinsamen Sache.
Damit können wir den Inhalt und das Wesen unserer Diskussion zusammenfassen. Wir haben die konkreten Fragen behandelt und werden sie gewissenhaft erfüllen.
Über die internationale Situation habe ich bereits in meinen Ausführungen bei Gen. Großmann gesprochen. Diese sind Ihnen bekannt.
Zur Frage der Überraschung von außen habe ich auch schon gesprochen. Was Sie sagten, ist völlig richtig, daß auch Überraschungen im Innern nicht zugelassen werden dürfen. Die Möglichkeiten für die Erweiterung der Zusammenarbeit sind groß. Das Leben zeigt uns dies. Unsere Führung mißt dieser Sache große Bedeutung bei. Das hat Ihnen auch Gen. Gorbatschow gesagt beim Empfang anläßlich Ihrer Auszeichnung. Unsere Partei orientiert auf die Festigung der Zusammenarbeit.
Ich werde nicht sprechen über die Umgestaltung in der Sowjetunion. Das lesen Sie jeden Tag.
Gen. Mielke: Die einfachen Menschen sagen, es wird viel gesprochen, aber wo bleiben die Resultate. Wann kommt es zu Veränderungen?
Als Abwehr wurden alle geheimpolizeilichen Aktivitäten zur Sicherung der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Stabilität der DDR und des kommunistischen Bündnissystems bezeichnet, die nach dem Verständnis des MfS durch feindliche Angriffe gefährdet waren. Maßnahmen zur Bekämpfung westlicher Spionage und politischer Opposition galten somit ebenso als Abwehr wie etwa die Sicherung von Produktivität und Anlagensicherheit in den Betrieben sowie die Verhinderung von Republikflucht und Ausreisen. Demgemäß waren die meisten operativen Arbeitsbereiche des MfS ganz überwiegend mit Abwehr befasst.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5198, Bl. 100-140
In einem Gespräch mit dem stellvertretenden KfS-Vorsitzenden Leonid Schebarschin vom April 1989 beklagte Minister Mielke die Auflösung des "sozialistischen Lagers".
Im April 1989 besuchte der Leiter der Spionageabteilung des sowjetischen Komitee für Staatssicherheit (KfS), Generalmajor Leonid Schebarschin, den Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, in Ost-Berlin. Mielke nutzte die Gelegenheit, um seiner Frustration und seinen Ängsten wegen der sowjetischen Reformpolitik und den Veränderungen in Polen und Ungarn Ausdruck zu verleihen. Das Gesprächsprotokoll macht deutlich, wie die internationale Lage im Frühjahr 1989 durch die MfS-Führung eingeschätzt wurde.
Mielke redete zu Beginn des Treffens über eine Stunde lang auf seinen Gast ein. Vor allem beklagte er die Auflösung des "sozialistischen Lagers": Zu verzeichnen sei eine "weitere Differenzierung zwischen den sozialistischen Ländern", besonders zwischen der UdSSR und der DDR, aber auch zwischen anderen Ländern.
Mielke schimpfte besonders über die Liberalisierung in Ungarn und Polen, meinte aber gewiss auch die Sowjetunion und ermahnt den sowjetischen Genossen: "Wir sind besorgt über ungenügende Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe der Feinde. Unseres Erachtens ist es notwendig, dass in den sozialistischen Staaten wieder ganz klare Positionen zum Entstehen und Wirken antisozialistischer Gruppierungen, besonders zur Notwendigkeit ihrer konsequenten Bekämpfung, bezogen werden."
Die Forderung nach "Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe" stellte eine unverhüllte Kritik an der sowjetischen Liberalisierungspolitik dar. Ihr nachzugeben würde einen Kurswechsel in der Sowjetunion bedeuten, der ein Triumph der Hardliner gegenüber den Reformern wäre und die Perestrojka politisch ruinieren würde. Ohne einen solchen Kurswechsel aber würde die DDR-Führung mit ihrem Bemühen, das alte Regime wieder zu stabilisieren, ziemlich allein da stehen. Nur in Rumänien und - mit gewissen Einschränkungen - in der Tschechoslowakei wurde ähnlich starr am alten Regime festgehalten.
Mielkes Gesprächspartner hörte sich alle Vorwürfe schweigend an und macht Mielke keinerlei Hoffnungen, dass sich der Kurs der sowjetischen Reformer ändern würde.
Gen. Schebarschin: Diese Fragen stellen auch die einfachen ehrlichen Menschen bei uns.
Nach den Wahlen wurde in der Sitzung des PB die Schlußfolgerung gezogen, daß das ganze Volk für die Perestroika ist. Alle sind der Meinung, daß es notwendig ist. Aber viele sind unzufrieden mit dem Verlauf, wie es praktisch realisiert wird. Natürlich ändern sich auch die Bedingungen für die Tätigkeit der Staatssicherheit. Es gibt für die Aufklärung positive Momente. Die Perestroika zieht viele Freunde an. Die Möglichkeiten für Kontakte erweitern sich für uns. Das werden wir natürlich ausnutzen. Was Sie angesprochen haben, Leute zu gewinnen, die Angst haben, daß Sie entlarvt werden, dies ist nicht einfach.
Aber es gibt auch negative Seiten, z.B. diese Publikationen. Was über Stalin, über die Tscheka geschrieben wird, dies stößt die Leute von uns ab, stört unsere Arbeit.
Ich habe vor dem Kollektiv der Vertretung gesprochen über die Arbeit. Wir haben auch über die Fakten gesprochen, die uns in der Arbeit stören, rein vom Fachlichen her. Aber es gibt auch politische Aspekte. Wir hoffen - ich will nicht sagen, daß wir überzeugt sind -, daß hier Ordnung geschaffen wird.
Unsere Jugend hat billige Sensationen.
Gen. Mielke: Weil Sie nicht überzeugt sind, sondern nur hoffen, möchte ich einen bekannten deutschen Dichter zitieren: "Noch am Grabe pflanzt er die Hoffnung ein!"
Gen. Schebarschin: So pessimistisch sind wir nicht. Im Prozeß der großen Veränderungen macht die Partei alles, damit diese Veränderungen positive Veränderungen bringen, daß wir uns schnell entwickeln, daß wir die Bedürfnisse unserer Bevölkerung befriedigen und unsere Freunde und Verbündeten sich sicher fühlen können.
Aus all diesen Gründen ist diese riskante Sache eingeleitet worden.
Als Abwehr wurden alle geheimpolizeilichen Aktivitäten zur Sicherung der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Stabilität der DDR und des kommunistischen Bündnissystems bezeichnet, die nach dem Verständnis des MfS durch feindliche Angriffe gefährdet waren. Maßnahmen zur Bekämpfung westlicher Spionage und politischer Opposition galten somit ebenso als Abwehr wie etwa die Sicherung von Produktivität und Anlagensicherheit in den Betrieben sowie die Verhinderung von Republikflucht und Ausreisen. Demgemäß waren die meisten operativen Arbeitsbereiche des MfS ganz überwiegend mit Abwehr befasst.
Aufklärung hatte innerhalb des MfS unterschiedliche Bedeutungen: Sie wird zur Bezeichnung des Tätigkeitsbereiches der Auslandsspionage verwendet, die überwiegend von der HV A getragen wurde, die teilweise auch kurz als Aufklärung bezeichnet wird. Darüber hinaus findet der Begriff Verwendung bei der Bezeichnung von Sachverhaltsermittlungen (Aufklärung eines Sachverhalts) und von Überprüfungen der Eignung von IM-Kandidaten (Aufklärung des Kandidaten).
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5198, Bl. 100-140
In einem Gespräch mit dem stellvertretenden KfS-Vorsitzenden Leonid Schebarschin vom April 1989 beklagte Minister Mielke die Auflösung des "sozialistischen Lagers".
Im April 1989 besuchte der Leiter der Spionageabteilung des sowjetischen Komitee für Staatssicherheit (KfS), Generalmajor Leonid Schebarschin, den Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, in Ost-Berlin. Mielke nutzte die Gelegenheit, um seiner Frustration und seinen Ängsten wegen der sowjetischen Reformpolitik und den Veränderungen in Polen und Ungarn Ausdruck zu verleihen. Das Gesprächsprotokoll macht deutlich, wie die internationale Lage im Frühjahr 1989 durch die MfS-Führung eingeschätzt wurde.
Mielke redete zu Beginn des Treffens über eine Stunde lang auf seinen Gast ein. Vor allem beklagte er die Auflösung des "sozialistischen Lagers": Zu verzeichnen sei eine "weitere Differenzierung zwischen den sozialistischen Ländern", besonders zwischen der UdSSR und der DDR, aber auch zwischen anderen Ländern.
Mielke schimpfte besonders über die Liberalisierung in Ungarn und Polen, meinte aber gewiss auch die Sowjetunion und ermahnt den sowjetischen Genossen: "Wir sind besorgt über ungenügende Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe der Feinde. Unseres Erachtens ist es notwendig, dass in den sozialistischen Staaten wieder ganz klare Positionen zum Entstehen und Wirken antisozialistischer Gruppierungen, besonders zur Notwendigkeit ihrer konsequenten Bekämpfung, bezogen werden."
Die Forderung nach "Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe" stellte eine unverhüllte Kritik an der sowjetischen Liberalisierungspolitik dar. Ihr nachzugeben würde einen Kurswechsel in der Sowjetunion bedeuten, der ein Triumph der Hardliner gegenüber den Reformern wäre und die Perestrojka politisch ruinieren würde. Ohne einen solchen Kurswechsel aber würde die DDR-Führung mit ihrem Bemühen, das alte Regime wieder zu stabilisieren, ziemlich allein da stehen. Nur in Rumänien und - mit gewissen Einschränkungen - in der Tschechoslowakei wurde ähnlich starr am alten Regime festgehalten.
Mielkes Gesprächspartner hörte sich alle Vorwürfe schweigend an und macht Mielke keinerlei Hoffnungen, dass sich der Kurs der sowjetischen Reformer ändern würde.
Wir werden alles tun, damit dieser Prozeß der Umgestaltung positive Ergebnisse bringt. In diesem Prozeß sind negative Erscheinungen aufgetreten und werden noch auftreten, z.B. was Glasnost und Demokratie im negativen Sinne betrifft. An die Oberfläche sind Abenteurer getreten, die Ziele verfolgen, die weit entfernt sind von den Zielen des Sowjetvolkes.
Es gibt schon solche Stimmen, wozu war die Oktoberrevolution notwendig. Sie beginnen, Lenin anzugreifen. Ich bin überzeugt von den gesunden Kräften unserer Gesellschaft, daß die entsprechende Ordnung hergestellt wird.
Solche Heuchler und Demagogen machen nicht das "Wetter", obwohl sie verstärkt auftreten. Der Nationalismus, die Ausnutzung dieser Probleme durch den kapitalistischen Gegner sind ernste Fragen.
Es wäre nicht real, darauf zu hoffen, daß man dies nur mit Mitteln der Staatssicherheit regeln kann, obwohl die Staatssicherheitsorgane ihren entsprechenden Beitrag leisten müssen. Das Ausmaß dieses Problems ist viel größer, weil im Herbst die Wahlen zu den Obersten Sowjets der Unionsrepubliken anstehen. Ich schließe nicht aus, daß es dabei bestimmte unangenehme Überraschungen geben kann. Es wird gearbeitet. Aber wir wissen natürlich, daß nicht nur das KfS, sondern auch alle anderen staatlichen Organe ihre Anstrengungen verdoppeln und verdreifachen müssen.
Zu Ihren Standpunkt der Kontakte dieser Elemente über die Grenzen hinweg, denke ich, daß wir den Informationsaustausch in diesen Fragen unbedingt organisieren müssen.
Gen. Mielke: Diese Fälle haben jetzt große Bedeutung. Der Feind nimmt von außen Einfluß. Nicht in einfacher Art. Dies erfolgt viel komplizierter.
Sie haben völlig recht. Die ideologischen Fragen, das Bewußtsein ist "angekratzt". Es gibt schwankende Menschen.
Als Abwehr wurden alle geheimpolizeilichen Aktivitäten zur Sicherung der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Stabilität der DDR und des kommunistischen Bündnissystems bezeichnet, die nach dem Verständnis des MfS durch feindliche Angriffe gefährdet waren. Maßnahmen zur Bekämpfung westlicher Spionage und politischer Opposition galten somit ebenso als Abwehr wie etwa die Sicherung von Produktivität und Anlagensicherheit in den Betrieben sowie die Verhinderung von Republikflucht und Ausreisen. Demgemäß waren die meisten operativen Arbeitsbereiche des MfS ganz überwiegend mit Abwehr befasst.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Notiz über ein Gespräch zwischen Erich Mielke und dem stellvertretenden KGB-Chef Krjutschkow Dokument, 19 Seiten
Rede von Minister Erich Mielke zum 8. Jahrestag des Ministeriums für Staatssicherheit Audio, 1 Stunde, 25 Minuten, 51 Sekunden
Referat Erich Mielkes zur Auswertung der 8. Tagung des Zentralkomitees der SED Dokument, 146 Seiten
Dienstbesprechung zwischen Mielke und den Chefs der Bezirksverwaltungen Dokument, 79 Seiten