Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5198, Bl. 100-140
In einem Gespräch mit dem stellvertretenden KfS-Vorsitzenden Leonid Schebarschin vom April 1989 beklagte Minister Mielke die Auflösung des "sozialistischen Lagers".
Im April 1989 besuchte der Leiter der Spionageabteilung des sowjetischen Komitee für Staatssicherheit (KfS), Generalmajor Leonid Schebarschin, den Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, in Ost-Berlin. Mielke nutzte die Gelegenheit, um seiner Frustration und seinen Ängsten wegen der sowjetischen Reformpolitik und den Veränderungen in Polen und Ungarn Ausdruck zu verleihen. Das Gesprächsprotokoll macht deutlich, wie die internationale Lage im Frühjahr 1989 durch die MfS-Führung eingeschätzt wurde.
Mielke redete zu Beginn des Treffens über eine Stunde lang auf seinen Gast ein. Vor allem beklagte er die Auflösung des "sozialistischen Lagers": Zu verzeichnen sei eine "weitere Differenzierung zwischen den sozialistischen Ländern", besonders zwischen der UdSSR und der DDR, aber auch zwischen anderen Ländern.
Mielke schimpfte besonders über die Liberalisierung in Ungarn und Polen, meinte aber gewiss auch die Sowjetunion und ermahnt den sowjetischen Genossen: "Wir sind besorgt über ungenügende Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe der Feinde. Unseres Erachtens ist es notwendig, dass in den sozialistischen Staaten wieder ganz klare Positionen zum Entstehen und Wirken antisozialistischer Gruppierungen, besonders zur Notwendigkeit ihrer konsequenten Bekämpfung, bezogen werden."
Die Forderung nach "Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe" stellte eine unverhüllte Kritik an der sowjetischen Liberalisierungspolitik dar. Ihr nachzugeben würde einen Kurswechsel in der Sowjetunion bedeuten, der ein Triumph der Hardliner gegenüber den Reformern wäre und die Perestrojka politisch ruinieren würde. Ohne einen solchen Kurswechsel aber würde die DDR-Führung mit ihrem Bemühen, das alte Regime wieder zu stabilisieren, ziemlich allein da stehen. Nur in Rumänien und - mit gewissen Einschränkungen - in der Tschechoslowakei wurde ähnlich starr am alten Regime festgehalten.
Mielkes Gesprächspartner hörte sich alle Vorwürfe schweigend an und macht Mielke keinerlei Hoffnungen, dass sich der Kurs der sowjetischen Reformer ändern würde.
Hierbei stellen sich doch die Fragen:
Wie soll unter diesen Bedingungen die Staatssicherheit arbeiten?
Welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit der Bruderorgane gibt es unter diesen Bedingungen?
Ich muß offen sagen: Wir sehen die Gefahr, daß antisozialistische staatsfeindliche Kräfte nach weiterer Festigung ihrer Positionen zu offenen Machtkämpfen übergehen können und die sozialistische Entwicklung in diesen Ländern in Gefahr gerät.
Wir müssen doch perspektivisch und strategisch arbeiten und nicht nur mit Worten.
Wir sind besorgt über ungenügende Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe der Feinde.
Unseres Erachtens ist es notwendig, daß in den sozialistischen Staaten wieder ganz klare Positionen zum Entstehen und Wirken antisozialistischer Gruppierungen und Kräfte, besonders zur Notwendigkeit ihrer konsequenten Bekämpfung, bezogen werden.
Welche Möglichkeiten sehen unsere sowjetischen Freunde, mit welchen konkreten Schritten und Maßnahmen das erreicht werden könnte?
Auf der multilateralen Beratung der Aufklärungsorgane sozialistischer Länder im Oktober 1988 in Berlin habe ich hervorgehoben:
Allen Erscheinungen im Innern der sozialistischen Länder, aus denen sich Gefahren entwickeln können, sollten die Sicherheitsorgane größte Beachtung schenken. Alle entsprechenden Entwicklungen, Erscheinungen und Vorkommnisse, alle Informationen und Hinweise - besonders hinsichtlich des Entstehens und Wirkens eines Potentials feindlicher, oppositioneller Kräfte - müssen sorgfältig verfolgt und analysiert werden.
Als Abwehr wurden alle geheimpolizeilichen Aktivitäten zur Sicherung der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Stabilität der DDR und des kommunistischen Bündnissystems bezeichnet, die nach dem Verständnis des MfS durch feindliche Angriffe gefährdet waren. Maßnahmen zur Bekämpfung westlicher Spionage und politischer Opposition galten somit ebenso als Abwehr wie etwa die Sicherung von Produktivität und Anlagensicherheit in den Betrieben sowie die Verhinderung von Republikflucht und Ausreisen. Demgemäß waren die meisten operativen Arbeitsbereiche des MfS ganz überwiegend mit Abwehr befasst.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5198, Bl. 100-140
In einem Gespräch mit dem stellvertretenden KfS-Vorsitzenden Leonid Schebarschin vom April 1989 beklagte Minister Mielke die Auflösung des "sozialistischen Lagers".
Im April 1989 besuchte der Leiter der Spionageabteilung des sowjetischen Komitee für Staatssicherheit (KfS), Generalmajor Leonid Schebarschin, den Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, in Ost-Berlin. Mielke nutzte die Gelegenheit, um seiner Frustration und seinen Ängsten wegen der sowjetischen Reformpolitik und den Veränderungen in Polen und Ungarn Ausdruck zu verleihen. Das Gesprächsprotokoll macht deutlich, wie die internationale Lage im Frühjahr 1989 durch die MfS-Führung eingeschätzt wurde.
Mielke redete zu Beginn des Treffens über eine Stunde lang auf seinen Gast ein. Vor allem beklagte er die Auflösung des "sozialistischen Lagers": Zu verzeichnen sei eine "weitere Differenzierung zwischen den sozialistischen Ländern", besonders zwischen der UdSSR und der DDR, aber auch zwischen anderen Ländern.
Mielke schimpfte besonders über die Liberalisierung in Ungarn und Polen, meinte aber gewiss auch die Sowjetunion und ermahnt den sowjetischen Genossen: "Wir sind besorgt über ungenügende Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe der Feinde. Unseres Erachtens ist es notwendig, dass in den sozialistischen Staaten wieder ganz klare Positionen zum Entstehen und Wirken antisozialistischer Gruppierungen, besonders zur Notwendigkeit ihrer konsequenten Bekämpfung, bezogen werden."
Die Forderung nach "Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe" stellte eine unverhüllte Kritik an der sowjetischen Liberalisierungspolitik dar. Ihr nachzugeben würde einen Kurswechsel in der Sowjetunion bedeuten, der ein Triumph der Hardliner gegenüber den Reformern wäre und die Perestrojka politisch ruinieren würde. Ohne einen solchen Kurswechsel aber würde die DDR-Führung mit ihrem Bemühen, das alte Regime wieder zu stabilisieren, ziemlich allein da stehen. Nur in Rumänien und - mit gewissen Einschränkungen - in der Tschechoslowakei wurde ähnlich starr am alten Regime festgehalten.
Mielkes Gesprächspartner hörte sich alle Vorwürfe schweigend an und macht Mielke keinerlei Hoffnungen, dass sich der Kurs der sowjetischen Reformer ändern würde.
Nichts sollte übersehen oder gar unterschätzt werden, weil daraus große politische Schwierigkeiten und Probleme entstehen können. Als ich in Moskau war und die hohe Auszeichnung erhielt, haben wir darüber gesprochen. Es hat sich bestätigt, daß manches unterschätzt wurde (Estland und die anderen Ereignisse). Besonders auch hier gilt der Grundsatz, Überraschungen auszuschließen. Die Attacken des Gegners, die Aktivitäten von Feinden und die Lageentwicklung insgesamt zeigen, daß dieses Erfordernis noch dringlicher geworden ist.
Zu einigen Problemen und Erfordernissen im Zusammenhang mit dem Abschluß des KSZE-Folgetreffens in Wien möchte ich ebenfalls etwas sagen.
Auf der multilateralen Beratung haben Sie Stellung genommen - ich nehme an, daß dies "ehrlich" war, was Sie sagten. Wir lieben keine Schmeicheleien. Wir gehen unseren marxistisch-leninistischen Weg. Das ist unsere Auffassung. Dies ist deckungsgleich.
Wir stimmen gewiß in der Einschätzung überein, daß die Ausnutzung des KSZE-Prozesses, der entsprechenden Dokumente und vor allem des Wiener Abschlußdokumentes in den gegnerischen Zielstellungen und Planungen sowie in der praktischen Politik einen wachsenden Stellenwert einnimmt. Das ist zu einem wesentlichen Bestandteil des gesamten gegnerischen Vorgehens geworden.
Bekanntlich wurden in Wien große Zugeständnisse an den Westen gemacht, besonders in Fragen der Menschenrechte und sogenannten humanitären Probleme - Ich weiß nicht, worüber Baker bei Euch noch sprechen will -, menschliche Kontakte - siehe die von mir zitierte SPD-Erklärung -, Information, Kultur und Bildung. Das resultierte nicht zuletzt auch aus dem nichteinheitlichen Auftreten der sozialistischen Staaten.
Wie sich insbesondere seit dem Wiener Treffen zeigt, wird das alles intensiv vom Gegner für eine weitere Verstärkung seiner Angriffe gegen die sozialistischen Staaten ausgenutzt.
Als Abwehr wurden alle geheimpolizeilichen Aktivitäten zur Sicherung der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Stabilität der DDR und des kommunistischen Bündnissystems bezeichnet, die nach dem Verständnis des MfS durch feindliche Angriffe gefährdet waren. Maßnahmen zur Bekämpfung westlicher Spionage und politischer Opposition galten somit ebenso als Abwehr wie etwa die Sicherung von Produktivität und Anlagensicherheit in den Betrieben sowie die Verhinderung von Republikflucht und Ausreisen. Demgemäß waren die meisten operativen Arbeitsbereiche des MfS ganz überwiegend mit Abwehr befasst.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5198, Bl. 100-140
In einem Gespräch mit dem stellvertretenden KfS-Vorsitzenden Leonid Schebarschin vom April 1989 beklagte Minister Mielke die Auflösung des "sozialistischen Lagers".
Im April 1989 besuchte der Leiter der Spionageabteilung des sowjetischen Komitee für Staatssicherheit (KfS), Generalmajor Leonid Schebarschin, den Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, in Ost-Berlin. Mielke nutzte die Gelegenheit, um seiner Frustration und seinen Ängsten wegen der sowjetischen Reformpolitik und den Veränderungen in Polen und Ungarn Ausdruck zu verleihen. Das Gesprächsprotokoll macht deutlich, wie die internationale Lage im Frühjahr 1989 durch die MfS-Führung eingeschätzt wurde.
Mielke redete zu Beginn des Treffens über eine Stunde lang auf seinen Gast ein. Vor allem beklagte er die Auflösung des "sozialistischen Lagers": Zu verzeichnen sei eine "weitere Differenzierung zwischen den sozialistischen Ländern", besonders zwischen der UdSSR und der DDR, aber auch zwischen anderen Ländern.
Mielke schimpfte besonders über die Liberalisierung in Ungarn und Polen, meinte aber gewiss auch die Sowjetunion und ermahnt den sowjetischen Genossen: "Wir sind besorgt über ungenügende Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe der Feinde. Unseres Erachtens ist es notwendig, dass in den sozialistischen Staaten wieder ganz klare Positionen zum Entstehen und Wirken antisozialistischer Gruppierungen, besonders zur Notwendigkeit ihrer konsequenten Bekämpfung, bezogen werden."
Die Forderung nach "Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe" stellte eine unverhüllte Kritik an der sowjetischen Liberalisierungspolitik dar. Ihr nachzugeben würde einen Kurswechsel in der Sowjetunion bedeuten, der ein Triumph der Hardliner gegenüber den Reformern wäre und die Perestrojka politisch ruinieren würde. Ohne einen solchen Kurswechsel aber würde die DDR-Führung mit ihrem Bemühen, das alte Regime wieder zu stabilisieren, ziemlich allein da stehen. Nur in Rumänien und - mit gewissen Einschränkungen - in der Tschechoslowakei wurde ähnlich starr am alten Regime festgehalten.
Mielkes Gesprächspartner hörte sich alle Vorwürfe schweigend an und macht Mielke keinerlei Hoffnungen, dass sich der Kurs der sowjetischen Reformer ändern würde.
Ich führe nur stichwortartig an:
Fortsetzung und Verstärkung der Menschenrechtsdemagogie;
immer massivere Einmischung in innere Angelegenheiten sozialischer Länder;
zunehmende Einwirkung und Druckausübung, verbunden mit noch stärkerer Hetze und Verleumdung;
verstärkte Bestrebungen, feindliche, oppositionelle Kräfte zu unterstützen, zu fördern und zu gegen den Sozialismus gerichteten antisozialistischen Aktivitäten/Handlungen zu ermuntern;
weitere Differenzierung zwischen den sozialistischen Ländern, besonders zwischen der UdSSR und der DDR, aber auch zwischen anderen Ländern. Einzelne sozialistische Staaten (DDR,CSSR) werden als KSZE-feindlich, reformfeindlich, als menschenrechtsverletzende Regimes diffamiert und angeklagt.
Ich muß dies als Minister für Staatssicherheit sagen. Den "schönen Worten" kann ich nicht glauben.
Ich sage dies, weil bei Euch Vorstellungen sein können, man könnte sie zulassen. Fidel Castro hat sicher recht, wenn er die große Sowjetunion mit dem kleinen Kuba vergleicht. Wir sind eine kleine DDR. Bei Euch kann dies vielleicht nichts ausmachen. Aber hier, unmittelbar an der Front des ökonomisch noch starken Kapitalismus. Die Läden sind voll in jeder Hinsicht. Das Leben ist verlockend.
Deshalb werden wir es nicht zulassen, es sei denn, einige werden "weich".
Alles, was wir hier erleben, wenn sich einzelne Funktionäre oder Politiker treffen, zwingt zu neuen Überlegungen.
Als Abwehr wurden alle geheimpolizeilichen Aktivitäten zur Sicherung der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Stabilität der DDR und des kommunistischen Bündnissystems bezeichnet, die nach dem Verständnis des MfS durch feindliche Angriffe gefährdet waren. Maßnahmen zur Bekämpfung westlicher Spionage und politischer Opposition galten somit ebenso als Abwehr wie etwa die Sicherung von Produktivität und Anlagensicherheit in den Betrieben sowie die Verhinderung von Republikflucht und Ausreisen. Demgemäß waren die meisten operativen Arbeitsbereiche des MfS ganz überwiegend mit Abwehr befasst.
Bekämpfung von Widerstand und Opposition umschreibt, was zwischen 1950 und 1989 als eine Kernaufgabe des MfS galt. Gegen den Willen eines Großteils der ostdeutschen Bevölkerung wurde eine Diktatur etabliert, die nicht durch Wahlen legitimiert war: Dies war einer der Gründe für die Bildung des MfS am 8.2.1950.
Um ihren gesellschaftlichen Alleinvertretungs- und Herrschaftsanspruch zu sichern, schuf sich die SED als Repressions- und polizeistaatliche Unterdrückungsinstanz das MfS - das konsequenterweise so auch offiziell von ihr als "Schild und Schwert der Partei" bezeichnet wurde. Bereits in der "Richtlinie über die Erfassung von Personen, die eine feindliche Tätigkeit durchführen und von den Organen des MfS der DDR festgestellt wurden" vom 20.9.1950 wurde dementsprechend festgelegt, dass "alle Personen" zu registrieren seien, deren Verhalten geeignet war, die "Grundlagen" der DDR in Frage zu stellen.
Ferner wurde bestimmt, dass "über Personen, die eine feindliche Tätigkeit ausüben, [...] Vorgänge" anzulegen sind und über "die erfassten Personen [...] eine zentrale Kartei" einzurichten ist. Das offensive Vorgehen gegen Regimegegner erfuhr eine Ergänzung in den gleichzeitig getroffenen Festlegungen zur Übergabe der als "feindlich" klassifizierten Personen an die Staatsanwaltschaften.
Das MfS wurde somit bei der Bekämpfung von Widerstand und Opposition zur Ermittlungsinstanz; die nachfolgenden Urteile gegen Oppositionelle und Regimekritiker ergingen in enger Kooperation mit den vom MfS zumeist vorab instruierten Gerichten und zum Schein vermeintlicher Rechtsstaatlichkeit unter Hinzuziehung von mit dem MfS häufig zusammenarbeitenden Rechtsanwälten.
Inhalte, Auftreten und Erscheinungsbild von politisch abweichendem Verhalten, Widerstand und Opposition wandelten sich im Laufe der DDR-Geschichte. Zugleich änderten sich auch die Strategien und Methoden des MfS in Abhängigkeit vom konkreten Erscheinungsbild von Protest und Widerstand, aber auch analog zum Ausbauniveau des Apparates und seines Zuträger- und Informantennetzes sowie zur jeweils getroffenen Lageeinschätzung und unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen.
Zu allen Zeiten gab es in beinahe allen Bevölkerungsgruppen und in allen Regionen Aufbegehren, Opposition und Widerstand. In den ersten Jahren nach Gründung der DDR gingen die SED und das MfS mit drakonischen Abschreckungsstrafen (u. a. Todesurteilen) gegen politische Gegner vor. Gefällt wurden die Urteile nicht selten in penibel vorbereiteten Strafprozessen mit präparierten Belastungszeugen und unter Verwendung erzwungener Geständnisse.
In mehreren Orten der DDR wurden z. B. Oberschüler (Werdau, Leipzig, Werder, Eisenfeld, Fürstenberg/Oder, Güstrow), die anknüpfend an das Vorbild der Gruppe "Weiße Rose" in der NS-Diktatur Widerstand geleistet hatte, zum Tode oder zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, weil sie Informationen gesammelt und Flugblätter verteilt hatten. Manch einer von ihnen überlebte die Haftbedingungen nicht oder nur mit dauerhaften gesundheitlichen Schäden.
Im Laufe der 50er Jahre ging das MfS schrittweise zum verdeckten Terror über. Nach wie vor ergingen langjährige Zuchthausstrafen; politische Opponenten, die von Westberlin aus die Verhältnisse in der DDR kritisierten, wurden - wie Karl Wilhelm Fricke 1955 - in geheimen Operationen entführt, nach Ostberlin verschleppt, in MfS-Haft festgehalten und vor DDR-Gerichte gestellt (Entführung).
Das Bestreben der SED, sich in der westlichen Öffentlichkeit aufgrund dieser ungelösten Fälle und angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen nicht fortlaufender Kritik ausgesetzt zu sehen, führte, begünstigt durch die Absicht, der maroden Finanz- und Wirtschaftslage mit westlicher Unterstützung beizukommen, schrittweise zu einem Wandel. Im Ergebnis kam es auch zu einer Modifikation der MfS-Strategien im Vorgehen gegenüber Widerstand und Opposition.
Neben die im Vergleich zu den 50er Jahren zwar niedrigeren, für die Betroffenen aber nach wie vor empfindlich hohen Haftstrafen traten als beabsichtigt "lautloses" Vorgehen die Strategien der Kriminalisierung und Zersetzung. In einem "Entwurf der Sektion politisch-operative Spezialdisziplin" des MfS, der auf 1978 zu datieren ist, wird hierzu ausgeführt: "Um der Behauptung des Gegners die Spitze zu nehmen, dass wir ideologische Meinungsverschiedenheiten oder Andersdenkende mit Mitteln des sogenannten politischen Strafrechts bekämpfen, sind dazu noch wirksamer Maßnahmen zur Kriminalisierung dieser Handlungen sowie nicht strafrechtliche Mittel anzuwenden."
In der Richtlinie 1/76 "zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge" vom Januar 1976 wurden unter Punkt 2.6 "die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung" geregelt und unter Punkt 2.6.2 die "Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung" erörtert. Jene reichten u. a. von der "systematischen Diskreditierung des öffentlichen Rufes" auch mittels "unwahrer […] Angaben" und der "Verbreitung von Gerüchten" über das "Erzeugen von Misstrauen", dem "Vorladen von Personen zu staatlichen Dienststellen" bis zur "Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, […] Telefonanrufe".
Mit der "Ordnungswidrigkeitenverordnung" (OWVO) von 1984 ging man zudem verstärkt dazu über, politisch unliebsame Personen, sofern sie sich an Protesten beteiligten, mit Ordnungsstrafen zu überziehen und sie somit materiell unter Druck zu setzen. All diese Maßnahmen sollten nach außen hin den Eindruck erwecken, dass das MfS weniger rigoros als in früheren Jahren gegen Regimegegner vorging.
Nach der Freilassung von Oppositionellen, die kurz zuvor während der Durchsuchung der Umweltbibliothek 1987 und nach den Protesten am Rande der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 in Berlin inhaftiert worden waren, äußerten selbst SED-Mitglieder Zweifel, ob das MfS noch in der Lage sei, offensiv und effektiv gegen politische Opponenten vorzugehen.
Hochgerüstet und allemal zum Einschreiten bereit, trat das MfS jedoch noch bis in den Herbst 1989 gegenüber weniger prominenten Menschen in Aktion, die Widerstand leisteten, inhaftierte diese und ließ gegen sie hohe Haftstrafen verhängen. Bis zum Ende der DDR schritt das MfS bei sog. Demonstrativhandlungen ein und ging gegen - wie es hieß - ungesetzliche Gruppenbildungen vor.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Notiz über ein Gespräch zwischen Erich Mielke und dem stellvertretenden KGB-Chef Krjutschkow Dokument, 19 Seiten
Rede von Minister Erich Mielke zum 8. Jahrestag des Ministeriums für Staatssicherheit Audio, 1 Stunde, 25 Minuten, 51 Sekunden
Referat Erich Mielkes zur Auswertung der 8. Tagung des Zentralkomitees der SED Dokument, 146 Seiten
Dienstbesprechung zwischen Mielke und den Chefs der Bezirksverwaltungen Dokument, 79 Seiten