Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5198, Bl. 100-140
In einem Gespräch mit dem stellvertretenden KfS-Vorsitzenden Leonid Schebarschin vom April 1989 beklagte Minister Mielke die Auflösung des "sozialistischen Lagers".
Im April 1989 besuchte der Leiter der Spionageabteilung des sowjetischen Komitee für Staatssicherheit (KfS), Generalmajor Leonid Schebarschin, den Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, in Ost-Berlin. Mielke nutzte die Gelegenheit, um seiner Frustration und seinen Ängsten wegen der sowjetischen Reformpolitik und den Veränderungen in Polen und Ungarn Ausdruck zu verleihen. Das Gesprächsprotokoll macht deutlich, wie die internationale Lage im Frühjahr 1989 durch die MfS-Führung eingeschätzt wurde.
Mielke redete zu Beginn des Treffens über eine Stunde lang auf seinen Gast ein. Vor allem beklagte er die Auflösung des "sozialistischen Lagers": Zu verzeichnen sei eine "weitere Differenzierung zwischen den sozialistischen Ländern", besonders zwischen der UdSSR und der DDR, aber auch zwischen anderen Ländern.
Mielke schimpfte besonders über die Liberalisierung in Ungarn und Polen, meinte aber gewiss auch die Sowjetunion und ermahnt den sowjetischen Genossen: "Wir sind besorgt über ungenügende Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe der Feinde. Unseres Erachtens ist es notwendig, dass in den sozialistischen Staaten wieder ganz klare Positionen zum Entstehen und Wirken antisozialistischer Gruppierungen, besonders zur Notwendigkeit ihrer konsequenten Bekämpfung, bezogen werden."
Die Forderung nach "Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe" stellte eine unverhüllte Kritik an der sowjetischen Liberalisierungspolitik dar. Ihr nachzugeben würde einen Kurswechsel in der Sowjetunion bedeuten, der ein Triumph der Hardliner gegenüber den Reformern wäre und die Perestrojka politisch ruinieren würde. Ohne einen solchen Kurswechsel aber würde die DDR-Führung mit ihrem Bemühen, das alte Regime wieder zu stabilisieren, ziemlich allein da stehen. Nur in Rumänien und - mit gewissen Einschränkungen - in der Tschechoslowakei wurde ähnlich starr am alten Regime festgehalten.
Mielkes Gesprächspartner hörte sich alle Vorwürfe schweigend an und macht Mielke keinerlei Hoffnungen, dass sich der Kurs der sowjetischen Reformer ändern würde.
Wir haben mit dem Mehrparteiensystem große Erfahrungen. Das heißt für uns aber nicht, damit Oppositionsparteien im Sozialismus zuzulassen bzw. zu schaffen. Uns geht es vielmehr um die breiteste Einbeziehung aller Klassen und Schichten unseres Volkes und ihrer Interessenvertreter in die Stärkung des Sozialismus.
Vertraulich gesagt: Ich habe das Problem auch beim Generalsekretär unserer Partei so gestellt. Er war völlig einverstanden und hat mich beauftragt, dieser Sache die notwendige politische Aufmerksamkeit zu schenken.
Drittens:
Als einen entscheidenden Grundsatz betrachten wir die Vertiefung und den Ausbau der brüderlichen Beziehungen zwischen der SED und der KPdSU, der DDR und der UdSSR, darin eingeschlossen die weitere Festigung der Kampfgemeinschaft zwischen dem MfS und dem KfS.
Wie in der Vergangenheit bleibt auch künftig für unsere Partei - und für uns als Angehörige des MfS ist das ebenfalls eine Herzenssache - die enge brüderliche Zusammenarbeit mit der Partei und dem Lande Lenins eine außerordentlich wichtige Voraussetzung und Grundlage
für die weitere kontinuierliche Entwicklung unserer Republik,
für die künftige Entwicklung der gesamten sozialistischen Gemeinschaft, für die Bewahrung und Festigung ihrer Einheit und Geschlossenheit,
für die internationale Klassenauseinandersetzung und die Fortführung des Kampfes um Frieden/Entspannung/Abrüstung.
Ausgehend von dieser unerschütterlichen Position erfüllt es uns mit Sorge, haben wir kein Verständnis dafür, wenn nicht entschlossen genug gegen antisowjetische Aktivitäten vorgegangen wird, wenn in Veröffentlichungen und dergleichen Forderungen erhoben werden können, die sich offen gegen die KPdSU/UdSSR, gegen den Bruderbund mit der UdSSR und gegen die sozialistische Staatengemeinschaft insgesamt richten.
Als Abwehr wurden alle geheimpolizeilichen Aktivitäten zur Sicherung der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Stabilität der DDR und des kommunistischen Bündnissystems bezeichnet, die nach dem Verständnis des MfS durch feindliche Angriffe gefährdet waren. Maßnahmen zur Bekämpfung westlicher Spionage und politischer Opposition galten somit ebenso als Abwehr wie etwa die Sicherung von Produktivität und Anlagensicherheit in den Betrieben sowie die Verhinderung von Republikflucht und Ausreisen. Demgemäß waren die meisten operativen Arbeitsbereiche des MfS ganz überwiegend mit Abwehr befasst.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5198, Bl. 100-140
In einem Gespräch mit dem stellvertretenden KfS-Vorsitzenden Leonid Schebarschin vom April 1989 beklagte Minister Mielke die Auflösung des "sozialistischen Lagers".
Im April 1989 besuchte der Leiter der Spionageabteilung des sowjetischen Komitee für Staatssicherheit (KfS), Generalmajor Leonid Schebarschin, den Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, in Ost-Berlin. Mielke nutzte die Gelegenheit, um seiner Frustration und seinen Ängsten wegen der sowjetischen Reformpolitik und den Veränderungen in Polen und Ungarn Ausdruck zu verleihen. Das Gesprächsprotokoll macht deutlich, wie die internationale Lage im Frühjahr 1989 durch die MfS-Führung eingeschätzt wurde.
Mielke redete zu Beginn des Treffens über eine Stunde lang auf seinen Gast ein. Vor allem beklagte er die Auflösung des "sozialistischen Lagers": Zu verzeichnen sei eine "weitere Differenzierung zwischen den sozialistischen Ländern", besonders zwischen der UdSSR und der DDR, aber auch zwischen anderen Ländern.
Mielke schimpfte besonders über die Liberalisierung in Ungarn und Polen, meinte aber gewiss auch die Sowjetunion und ermahnt den sowjetischen Genossen: "Wir sind besorgt über ungenügende Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe der Feinde. Unseres Erachtens ist es notwendig, dass in den sozialistischen Staaten wieder ganz klare Positionen zum Entstehen und Wirken antisozialistischer Gruppierungen, besonders zur Notwendigkeit ihrer konsequenten Bekämpfung, bezogen werden."
Die Forderung nach "Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe" stellte eine unverhüllte Kritik an der sowjetischen Liberalisierungspolitik dar. Ihr nachzugeben würde einen Kurswechsel in der Sowjetunion bedeuten, der ein Triumph der Hardliner gegenüber den Reformern wäre und die Perestrojka politisch ruinieren würde. Ohne einen solchen Kurswechsel aber würde die DDR-Führung mit ihrem Bemühen, das alte Regime wieder zu stabilisieren, ziemlich allein da stehen. Nur in Rumänien und - mit gewissen Einschränkungen - in der Tschechoslowakei wurde ähnlich starr am alten Regime festgehalten.
Mielkes Gesprächspartner hörte sich alle Vorwürfe schweigend an und macht Mielke keinerlei Hoffnungen, dass sich der Kurs der sowjetischen Reformer ändern würde.
Man kann uns den Vorwurf machen, daß wir manchmal zu bestimmten Äußerungen schweigen, obwohl man gefühlsmäßig anders reagieren müßte. Dieses Problem ist eine sehr wichtige Sache. Diese antisowjetischen Tendenzen darf man nicht aus den Augen lassen.
Viertens:
Ein weiterer Grundsatz bei der Verwirklichung der Gesellschaftsstrategie ist die konsequente Fortführung des Kurses der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Das ist das Hauptkampffeld der Partei und aller Werktätigen. Bereits seit 20 Jahren verfolgen wir diesen Kurs mit Erfolg. Hier liegt einer der Schwerpunkte im Kampf gegen den "Import des Kapitalismus". Darum führen wir diesen Kampf mit solcher Leidenschaft.
Wesentlich ist, daß dabei der ständigen Vervollkommnung der sozialistischen Planwirtschaft großes Augenmerk beigemessen wird. Möchte betonen, daß unseres Erachtens die Erhöhung der ökonomischen Leistungskraft, die Bewahrung des Erreichten und die schrittweise weitere Verbesserung des Lebensniveaus unserer Menschen ohne zentrale staatliche Leitung und Planung bei gleichzeitiger Erhöhung der Eigenverantwortung der Kombinate/Betriebe undenkbar sind. Wir stehen fest zu der Veröffentlichung von Professor Nik von der Akademie der Gesellschaftswissenschaften über "Marktwirtschaft, Legenden und Wirklichkeit".
In letzter Zeit werden uns vom Gegner - aber nicht nur von dort - "Vorschläge" gemacht, unsere bewährte sozialistische Planwirtschaft zu demontieren und zu einer Art "sozialistischer Marktwirtschaft" überzugehen. Diesen "Vorschlägen" werden wir nicht folgen. Wir vervollkommnen die sozialistische Planwirtschaft weiter, machen sie flexibler und effektiver. Dabei bleibt für uns ein entscheidendes Kriterium, die sozialen Lebensbedingungen unserer Werktätigen nicht zu gefährden, sondern zu sichern und weiter auszubauen.
Ich meine, es wäre zweckmäßiger gewesen, wenn die Prawda vom 24.03.89 den Artikel "Das Leben wie es ist. Die Armen" nicht gebracht hätte. Wozu schreibt man darüber. Man soll es ändern. Damit diskreditiert man nach 70 Jahren Entwicklung nur den Sozialismus. Verändern, umgestalten muß man, aber nicht darüber schreiben.
Als Abwehr wurden alle geheimpolizeilichen Aktivitäten zur Sicherung der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Stabilität der DDR und des kommunistischen Bündnissystems bezeichnet, die nach dem Verständnis des MfS durch feindliche Angriffe gefährdet waren. Maßnahmen zur Bekämpfung westlicher Spionage und politischer Opposition galten somit ebenso als Abwehr wie etwa die Sicherung von Produktivität und Anlagensicherheit in den Betrieben sowie die Verhinderung von Republikflucht und Ausreisen. Demgemäß waren die meisten operativen Arbeitsbereiche des MfS ganz überwiegend mit Abwehr befasst.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5198, Bl. 100-140
In einem Gespräch mit dem stellvertretenden KfS-Vorsitzenden Leonid Schebarschin vom April 1989 beklagte Minister Mielke die Auflösung des "sozialistischen Lagers".
Im April 1989 besuchte der Leiter der Spionageabteilung des sowjetischen Komitee für Staatssicherheit (KfS), Generalmajor Leonid Schebarschin, den Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, in Ost-Berlin. Mielke nutzte die Gelegenheit, um seiner Frustration und seinen Ängsten wegen der sowjetischen Reformpolitik und den Veränderungen in Polen und Ungarn Ausdruck zu verleihen. Das Gesprächsprotokoll macht deutlich, wie die internationale Lage im Frühjahr 1989 durch die MfS-Führung eingeschätzt wurde.
Mielke redete zu Beginn des Treffens über eine Stunde lang auf seinen Gast ein. Vor allem beklagte er die Auflösung des "sozialistischen Lagers": Zu verzeichnen sei eine "weitere Differenzierung zwischen den sozialistischen Ländern", besonders zwischen der UdSSR und der DDR, aber auch zwischen anderen Ländern.
Mielke schimpfte besonders über die Liberalisierung in Ungarn und Polen, meinte aber gewiss auch die Sowjetunion und ermahnt den sowjetischen Genossen: "Wir sind besorgt über ungenügende Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe der Feinde. Unseres Erachtens ist es notwendig, dass in den sozialistischen Staaten wieder ganz klare Positionen zum Entstehen und Wirken antisozialistischer Gruppierungen, besonders zur Notwendigkeit ihrer konsequenten Bekämpfung, bezogen werden."
Die Forderung nach "Entschlossenheit zur Abwehr der Angriffe" stellte eine unverhüllte Kritik an der sowjetischen Liberalisierungspolitik dar. Ihr nachzugeben würde einen Kurswechsel in der Sowjetunion bedeuten, der ein Triumph der Hardliner gegenüber den Reformern wäre und die Perestrojka politisch ruinieren würde. Ohne einen solchen Kurswechsel aber würde die DDR-Führung mit ihrem Bemühen, das alte Regime wieder zu stabilisieren, ziemlich allein da stehen. Nur in Rumänien und - mit gewissen Einschränkungen - in der Tschechoslowakei wurde ähnlich starr am alten Regime festgehalten.
Mielkes Gesprächspartner hörte sich alle Vorwürfe schweigend an und macht Mielke keinerlei Hoffnungen, dass sich der Kurs der sowjetischen Reformer ändern würde.
Ich muß hier offen sagen, daß wir es nicht verstehen, wenn in einigen sozialistischen Ländern jetzt versucht wird, die vorhandenen ernsten ökonomischen Probleme dadurch zu lösen, indem man
zu einer mehr oder weniger kapitalistischen Marktwirtschaft übergehen will,
kapitalistische Wirtschaftsformen und -reformen praktiziert,
die zentrale staatliche Planung, Leitung und Kontrolle der Volkswirtschaft drastisch reduziert und eventuell gänzlich beseitigen möchte
oder wenn der Einfluß der Partei in der Wirtschaft erheblich begrenzt bzw. ganz ausgeschaltet werden soll.
Als Abwehr wurden alle geheimpolizeilichen Aktivitäten zur Sicherung der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Stabilität der DDR und des kommunistischen Bündnissystems bezeichnet, die nach dem Verständnis des MfS durch feindliche Angriffe gefährdet waren. Maßnahmen zur Bekämpfung westlicher Spionage und politischer Opposition galten somit ebenso als Abwehr wie etwa die Sicherung von Produktivität und Anlagensicherheit in den Betrieben sowie die Verhinderung von Republikflucht und Ausreisen. Demgemäß waren die meisten operativen Arbeitsbereiche des MfS ganz überwiegend mit Abwehr befasst.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Notiz über ein Gespräch zwischen Erich Mielke und dem stellvertretenden KGB-Chef Krjutschkow Dokument, 19 Seiten
Rede von Minister Erich Mielke zum 8. Jahrestag des Ministeriums für Staatssicherheit Audio, 1 Stunde, 25 Minuten, 51 Sekunden
Referat Erich Mielkes zur Auswertung der 8. Tagung des Zentralkomitees der SED Dokument, 146 Seiten
Dienstbesprechung zwischen Mielke und den Chefs der Bezirksverwaltungen Dokument, 79 Seiten