Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 2477, Bl. 8-21
Nach Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte von Helsinki verzeichnete das MfS "massive gegnerische Interventionen" westlicher Menschenrechtsgruppen in "innere Angelegenheiten der DDR".
Im August 1975 unterzeichnete die DDR die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Auf dem Papier verpflichtete sie sich damit zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Land. Nach der Unterschrift unter das Vertragswerk beauftragte jedoch die SED ihre Geheimpolizei, unerwünschte Nebenwirkungen, wie das Beharren der Menschen auf Ausreise oder zunehmende Westkontakte, zu bekämpfen – den Bürgern der DDR also weiterhin ihre Menschenrechte vorzuenthalten.
Unter Berufung auf die KSZE-Schlussakte stellten ab 1976 immer mehr DDR-Bürger einen Antrag auf Ausreise in den Westen. Darüber berichteten wiederum westliche Medien, und verschiedene westdeutsche Menschenrechtsorganisationen informierten Ausreisweillige über ihre Optionen. Die Stasi war alarmiert und setzte die SED-Führung mit der vorliegenden Information davon in Kenntnis, dass es zu "massiven gegnerischen Interventionen in innere Angelegenheiten der DDR" im Zusammenhang mit ausreisewilligen DDR-Bürgern komme.
In der Information unterbreitet das MfS außerdem Vorschläge, wie dieser Entwicklung zu begegnen sei. Die DDR müsse der westlichen Einmischung diplomatisch und politisch so offensiv wie möglich begegnen, "in geeigneter Form und zum geeigneten Zeitpunkten".
Ministerium für Staatssicherheit
Streng geheim!
Um Rückgabe wird gebeten!
Berlin, den
Nr. 104/76
Information über massive gegnerische Interventionen in innere Angelegenheiten der DDR im Zusammenhang mit der Übersiedlung von Bürgern der DDR nach nichtsozialistischen Staaten und Westberlin
In der letzten Zeit häufen sich zunehmend Aktivitäten und Versuche gegnerischer Kräfte zur unmittelbaren Einmischung in innere Angelegenheiten der DDR.
Behörden, Einrichtungen und Institutionen der BRD inspirieren und initiieren in massiver Form Bürger der Deutschen Demokratischen Republik zur Antragstellung auf Übersiedlung nach nichtsozialistischen Staaten bzw. Westberlin. Insbesondere durch die Ständige Vertretung der BRD in der DDR, durch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, durch Massenmedien und durch in der DDR akkreditierte Journalisten der BRD, aber zunehmend auch durch die im Zusammenhang mit dem Einreiseverkehr stehenden umfangreichen verwandtschaftlichen und bekanntschaftlichen Beziehungen und Kontakte erfolgt diesbezüglich eine sich ständig ausweitende aktive Einwirkung auf das Bewußtsein eines Teiles der Bevölkerung der DDR.
Die AIG entstanden mit der Einführung des einheitlichen Auswertungs- und Informationssystems 1965 aus den in den Bezirksverwaltungen und zentralen operativen Diensteinheiten des MfS schon bestehenden Informationsgruppen. In ihrem Zuständigkeitsbereich oblag ihnen die Bewertung und Selektion von Informationen, die Gewährleistung des Informationsflusses und die Fertigung der Berichte für die Partei- und Staatsfunktionäre. Die AIG unterstanden der fachlichen Anleitung und Kontrolle der ZAIG. 1978/79 wurden sie zu Auswertungs- und Kontrollgruppen erweitert.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
Signatur: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 2477, Bl. 8-21
Nach Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte von Helsinki verzeichnete das MfS "massive gegnerische Interventionen" westlicher Menschenrechtsgruppen in "innere Angelegenheiten der DDR".
Im August 1975 unterzeichnete die DDR die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Auf dem Papier verpflichtete sie sich damit zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Land. Nach der Unterschrift unter das Vertragswerk beauftragte jedoch die SED ihre Geheimpolizei, unerwünschte Nebenwirkungen, wie das Beharren der Menschen auf Ausreise oder zunehmende Westkontakte, zu bekämpfen – den Bürgern der DDR also weiterhin ihre Menschenrechte vorzuenthalten.
Unter Berufung auf die KSZE-Schlussakte stellten ab 1976 immer mehr DDR-Bürger einen Antrag auf Ausreise in den Westen. Darüber berichteten wiederum westliche Medien, und verschiedene westdeutsche Menschenrechtsorganisationen informierten Ausreisweillige über ihre Optionen. Die Stasi war alarmiert und setzte die SED-Führung mit der vorliegenden Information davon in Kenntnis, dass es zu "massiven gegnerischen Interventionen in innere Angelegenheiten der DDR" im Zusammenhang mit ausreisewilligen DDR-Bürgern komme.
In der Information unterbreitet das MfS außerdem Vorschläge, wie dieser Entwicklung zu begegnen sei. Die DDR müsse der westlichen Einmischung diplomatisch und politisch so offensiv wie möglich begegnen, "in geeigneter Form und zum geeigneten Zeitpunkten".
Das gegnerische Vorgehen basiert auf den bekannten Rechtspositionen der BRD - wie sie u.a. im Bonner Grundgesetz, im Staatsbürgerschaftsrecht und in der Auslegung des Grundlagenvertrages durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe fixiert sind.
In fast allen von Bürgern der DDR gestellten Anträgen auf Übersiedlung wird in der Begründung - in Übereinstimmung mit der gegnerischen Argumentation - auf den Grundlagenvertrag, auf die Aufnahme der DDR in die UNO und damit im Zusammenhang auf die Charta der Vereinten Nationen, auf die Erklärung der UNO über die Menschenrechte verwiesen.
Insbesondere seit der Veröffentlichung der Schlußakte der KSZE treten Bürger der DDR, die Anträge auf Übersiedlung gestellt haben bzw. stellen, in zunehmendem Umfang dahingehend in Erscheinung, daß sie - und, angeregt durch die gegnerische Argumentation, in zum Teil provokatorischer Form - eine "zügige" Bearbeitung ihrer Anträge fordern und die Einschaltung zentraler staatlicher Organe, der DDR, der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR bzw. der Massenmedien der BRD und Westberlins in die Lösung ihrer Anliegen androhen. Derartige, durch das gegnerische Einwirken provozierte Handlungen und Verhaltensweisen führen zu zunehmenden Versuchen, "Druck" auf die zuständiaen staatlichen Organe der DDR auszuüben.
Entsprechend den bisher vorliegenden Erkenntnissen und Erfahrungen des Ministeriums für Staatssicherheit zeigen sich die unmittelbaren Einflüsse und Einwirkungen des Gegners auf die Erwirkung der Antragstellung des Gegners u.a. in folgenden Aktivitäten:
- In Sendungen des Rundfunks und des Fernsehens sowie in der Presse der BRD erfolgt eine gezielte Propaganda und Hetze, um Bürger der DDR zu beeinflussen bzw. sie bei derartigen Absichten zu unterstützen mit dem Ziel, sie zum Verlassen
Die AIG entstanden mit der Einführung des einheitlichen Auswertungs- und Informationssystems 1965 aus den in den Bezirksverwaltungen und zentralen operativen Diensteinheiten des MfS schon bestehenden Informationsgruppen. In ihrem Zuständigkeitsbereich oblag ihnen die Bewertung und Selektion von Informationen, die Gewährleistung des Informationsflusses und die Fertigung der Berichte für die Partei- und Staatsfunktionäre. Die AIG unterstanden der fachlichen Anleitung und Kontrolle der ZAIG. 1978/79 wurden sie zu Auswertungs- und Kontrollgruppen erweitert.
Die ZAIG war das "Funktionalorgan" des Ministers für Staatssicherheit, die Schaltstelle im MfS, in der nahezu alle komplexen Stabsfunktionen konzentriert waren: die zentrale Auswertung und Information, einschließlich der Berichterstattung an die politische Führung, die Optimierung der entsprechenden Verfahren und Strukturen im Gesamtapparat des MfS, die zentralen Kontrollen und Untersuchungen und die Analyse der operativen Effektivität des MfS, die zentrale Planung und die Erarbeitung dienstlicher Bestimmungen, zudem die übergeordneten Funktionen im Bereich EDV sowie die Gewährleistung des internationalen Datenaustauschsystems der kommunistischen Staatssicherheitsdienste (SOUD). Nach der Eingliederung der Abteilung Agitation 1985 waren auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Traditionspflege des MfS in der ZAIG als "Bereich 6" funktional verankert. Die ZAIG war im direkten Anleitungsbereich des Ministers angesiedelt; ihr waren zuletzt die formal selbständigen Abt. XII, XIII (Rechenzentrum) und die Rechtsstelle fachlich unterstellt.
Die ZAIG geht auf die nach dem Juniaufstand 1953 gegründete und von Heinz Tilch geleitete Informationsgruppe (IG) der Staatssicherheitszentrale zurück, die erstmals eine regelmäßige Lage- und Stimmungsberichterstattung für die Partei- und Staatsführung hervorbrachte. Diese entwickelte sich 1955/56 zur Abteilung Information mit drei Fachreferaten, wurde aber 1957 als Resultat des Konfliktes zwischen Ulbricht und Wollweber wieder stark reduziert. 1957 erhielt die Abteilung mit Irmler einen neuen Leiter, der jedoch bereits 1959 vom ehemaligen stellv. Leiter der HV A Korb abgelöst und zum Stellvertreter zurückgestuft wurde. Gleichzeitig wurde die Diensteinheit in Zentrale Informationsgruppe (ZIG) umbenannt; von da an lief auch die bisher eigenständige Berichterstattung der HV A über sie. 1960 wurde die Berichterstattung an die politische Führung durch einen Ministerbefehl präzise geregelt, und die ZIG erhielt mit der Neueinrichtung von Informationsgruppen in den BV und operativen HA einen soliden Unterbau.
1965 wurde die ZIG in ZAIG umbenannt und ein einheitliches Auswertungs- und Informationssystem eingeführt, das die Recherche und Selektion von Daten sowie die Organisierung von Informationsflüssen gewährleistete. In den operativen HA und BV erhielt die ZAIG mit den AIG entsprechende "Filialen". Im gleichen Jahr ging Korb in den Ruhestand, Irmler wurde wieder Leiter der Diensteinheit.
1968 wurde auch das Kontrollwesen der Staatssicherheit in die ZAIG eingegliedert, das im Dezember 1953 mit der Kontrollinspektion seinen ersten organisatorischen Rahmen erhalten hatte und 1957 mit der Umbenennung in AG Anleitung und Kontrolle erheblich qualifiziert worden war.
1969 erhielt die ZAIG auch die Verantwortung für den Einsatz der EDV. Das im Aufbau begriffene Rechenzentrum (Abt. XIII) wurde ihr unterstellt. In der ersten Hälfte der 70er Jahre bildeten sich vier Arbeitsbereiche der ZAIG heraus. Bereich 1: konkrete Auswertungs- und Informationstätigkeit und Berichterstattung an die politische Führung; Bereich 2: Kontrollwesen, die Erarbeitung von dienstlichen Bestimmungen sowie Prognose- und Planungsaufgaben; Bereich 3: Fragen der EDV; Bereich 4: Pflege und Weiterentwicklung der "manuellen" Bestandteile des Auswertungs- und Informationssystems. 1979 erhielt dieser Bereich auch die Verantwortung für das SOUD ("ZAIG/5").
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Referat Erich Mielkes zur "Übersiedlung" auf einer Dienstbesprechung Dokument, 60 Seiten
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"Feindliche Ausnutzung" der KSZE-Beschlüsse durch die Bundesrepublik Deutschland, die USA und Frankreich Dokument, 7 Seiten