Signatur: BStU, MfS, Sekr. Mittig, Nr. 30, Bl. 96-106
Am 9. November 1989 geschah, was als Mauerfall in die Geschichte eingehen sollte. Der Sprecher des Zentralkomitees der SED, Günter Schabowski, hatte sich auf einer Pressekonferenz vertan und verkündete, dass DDR-Bürgern eine ungehinderte Ausreise ab sofort möglich sei. Noch am selben Abend erschienen tausende Menschen an den Grenzübergangsstellen und wollten nach West-Berlin.
Am 9. November 1989 geschah, was als Mauerfall in die Geschichte eingehen sollte. Der Sprecher des Zentralkomitees der SED, Günter Schabowski, hatte sich auf einer Pressekonferenz vertan und verkündete, dass DDR-Bürgern eine ungehinderte Ausreise ab sofort möglich sei. Noch am selben Abend erschienen tausende Menschen an den Grenzübergangsstellen und wollten nach West-Berlin.
Die Passkontrolleure der Grenzübergangsstellen, allesamt MfS-Mitarbeiter, waren mit der Situation überfordert. Sie hatten keine offizielle Dienstanweisung erhalten, wie sie mit dem Ansturm umgehen sollten. Erst unter dem Druck der Menschenmenge erteilte die Leitzentrale der zuständigen Hauptabteilung VI in Absprache mit Mielke-Stellvertreter Gerhard Neiber die Weisung, den Übergang zu gestatten. Allerdings sollte dabei in den Pässen ein Visa-Stempel über das Lichtbild gesetzt werden. Bürgern mit einem auf diese Weise ungültig gemachten Pass sollten die Grenzer die Wiedereinreise verwehren.
Dass diese Regelung unrealistisch war, zeigt die vorliegende Information über die Lage an der Grenze zu West-Berlin vom Morgen des 10. November 1989. Der Andrang war so groß, dass die Grenzer schließlich das Stempeln der Pässe einstellen mussten.
Berlin, 10. November 1989
Information über die Entwicklung der Lage an den Grenzübergangsstellen der Hauptstadt zu Westberlin sowie an den Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD
Mit Bekanntgabe der Ausreisemöglichkeiten für DDR-Bürger auf der durch Genossen Schabowski gegebenen Pressekonferenz und nachfolgenden Verlautbarungen der Medien setzte gegen 20.00 Uhr des 9.11.1989 an den Grehzübergangsstellen der Hauptstadt zu Westberlin nach zögerlichem Beginn ein rasch ansteigender Zulauf von DDR-Bürgern ein, die unter Berufung auf die o.g. Verlautbarungen ihre Ausreise nach Westberlin verlangten. Sie kündigten an, so lange vor den Grenzübergangsstellen auszuharren, bis ihnen die Ausreise entsprechend den Verfahrensweisen, die bei Ausreisen vom Territorium der CSSR in die BRD praktiziert wurden, gestattet werde.
Als aufgrund der unüberschaubaren Menschenmengen vor einigen Grenzübergangsstellen und nach dem Eindringen zahlreicher Personen in die Grenzübergangsstelle Bornholmer Straße abzusehen war, daß die Situation nicht länger zu beherrschen sein werde, wurde etwa gegen 23.30 Uhr auf zentrale Weisung mit der Abfertigung der Personen zur Grenzpassage nach Westberlin begonnen.
Seit diesem Zeitraum bis 4.00 Uhr des heutigen Tages reisten insgesamt ca. 68.000 DDR-Bürger zu Fuß bzw. mit ca. 9.700 Pkw nach Westberlin aus. Bis zum gleichen Zeitpunkt erfolgte die Rückreise von insgesamt ca. 45.000 DDR-Bürgern mit ca. 5.200 Pkw.
Es war nicht an allen Grenzübergangsstellen durchgängig möglich, die Personalausweise der DDR-Bürger mit Paßkontrollstempel zu versehen.
Trotz der entstandenen komplizierten Lage kam es nicht zu Zwischenfällen oder Provokationen, vereinzelt sogar zu Sympathiebezeugungen gegenüber uniformierten Kräften.
Hauptabteilung VI (Passkontrolle, Tourismus, Interhotel)
Die Hauptabteilung VI befasste sich mit dem grenzüberschreitenden Reiseverkehr. Sie wurde 1970 durch Fusion der Arbeitsgruppen "Passkontrolle und Fahndung" und "Sicherung des Reiseverkehrs" sowie der Zoll-Abwehr (Überwachung der Zoll-Mitarbeiter) gebildet. Die Hauptabteilung VI hatte an den Grenzübergängen der DDR die Reisenden zu kontrollieren und abzufertigen. Deshalb waren die DDR-Passkontrolleure hauptamtliche Mitarbeiter der Hauptabteilung VI. Zur Tarnung trugen sie Uniformen der Grenztruppen. Zunächst war 1950 die Grenzpolizei mit der Grenzabfertigung beauftragt worden.
Bei der Hauptabteilung VI wurden die Daten der Einreisenden einer ersten Analyse unterzogen, um politisch-operativ interessante Personen herauszufiltern. Die Grenzkontrolle umfasste für die Hauptabteilung VI auch die Überwachung der westlichen Grenzkontrollstellen, in Westberlin auch die der Flughäfen Tegel und Tempelhof sowie der Polizei und des Grenzzolldienstes. Zum Verantwortungsbereich der Hauptabteilung VI gehörte die lückenlose Überwachung der Transitstrecken von und nach Westberlin. Bei ihr liefen Avisierungen für bevorzugte Grenzabfertigungen zusammen.
1970 übernahm sie von der Hauptabteilung XX/5 die Aufgabe, Fluchtversuche zu unterbinden und Fluchthelfer im Westen zu verfolgen, was 1975/76 zu Teilen an die Zentrale Koordinierungsgruppe überging (Republikflucht). Die Hauptabteilung VI überwachte touristische Einrichtungen in der DDR, darunter die Reisebüros und die Interhotels. Ebenso kontrollierte sie DDR-Bürger bei ihren Reisen ins sozialistische Ausland, um Kontakte zu westlichen Staatsbürgern und Fluchtversuche ggf. zu unterbinden.
Die Operativgruppen des MfS in der ČSSR, Ungarn und Bulgarien waren ihr von 1970 bis 1989 unterstellt. 1989 gab sie deren Leitung an die Hauptabteilung II (HA II) ab. Im Verantwortungsbereich der Hauptabteilung VI wurden 1979–1981 drei Mordanschläge auf den Fluchthelfer Wolfgang Welsch durchgeführt, die dieser nur knapp überlebte.
Charakteristisch für die Hauptabteilung VI war die enge Kooperation mit vielen MfS-Diensteinheiten und anderen Institutionen wie Grenztruppen und Zoll, da im Bereich der Hauptabteilung VI eine Vielzahl von relevanten Erstinformationen und Daten zusammenkam. 1985 führte die Hauptabteilung VI 1.064 IM, darunter 67 West-IM, von denen 62 in Westberlin lebten.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Signatur: BStU, MfS, Sekr. Mittig, Nr. 30, Bl. 96-106
Am 9. November 1989 geschah, was als Mauerfall in die Geschichte eingehen sollte. Der Sprecher des Zentralkomitees der SED, Günter Schabowski, hatte sich auf einer Pressekonferenz vertan und verkündete, dass DDR-Bürgern eine ungehinderte Ausreise ab sofort möglich sei. Noch am selben Abend erschienen tausende Menschen an den Grenzübergangsstellen und wollten nach West-Berlin.
Am 9. November 1989 geschah, was als Mauerfall in die Geschichte eingehen sollte. Der Sprecher des Zentralkomitees der SED, Günter Schabowski, hatte sich auf einer Pressekonferenz vertan und verkündete, dass DDR-Bürgern eine ungehinderte Ausreise ab sofort möglich sei. Noch am selben Abend erschienen tausende Menschen an den Grenzübergangsstellen und wollten nach West-Berlin.
Die Passkontrolleure der Grenzübergangsstellen, allesamt MfS-Mitarbeiter, waren mit der Situation überfordert. Sie hatten keine offizielle Dienstanweisung erhalten, wie sie mit dem Ansturm umgehen sollten. Erst unter dem Druck der Menschenmenge erteilte die Leitzentrale der zuständigen Hauptabteilung VI in Absprache mit Mielke-Stellvertreter Gerhard Neiber die Weisung, den Übergang zu gestatten. Allerdings sollte dabei in den Pässen ein Visa-Stempel über das Lichtbild gesetzt werden. Bürgern mit einem auf diese Weise ungültig gemachten Pass sollten die Grenzer die Wiedereinreise verwehren.
Dass diese Regelung unrealistisch war, zeigt die vorliegende Information über die Lage an der Grenze zu West-Berlin vom Morgen des 10. November 1989. Der Andrang war so groß, dass die Grenzer schließlich das Stempeln der Pässe einstellen mussten.
Zur Lage an der Staatsgrenze West und Westring
Die Ausreise von DDR-Bürgern ohne entsprechende Grenzübertrittsdokumente begann an der Staatsgrenze West und Westring in der Regel erst gegen 00.00 Uhr.
Obwohl sich die Bürger kaum äußerten, aber durchweg fröhlich gestimmt waren, war erkennbar, daß ihr Entschluß zur Reise auf die Veröffentlichungen in den westlichen Medien zurückzuführen war.
Insgesamt reisten über die Grenzübergangsstellen der Staatsgrenze West bis 04.00 Uhr 2.638 DDR-Bürger mit 1.206 Kfz zum besuchsweisen Aufenthalt bzw. zur ständigen Ausreise aus. Schwerpunkte bildeten die Grenzübergangsstellen
Von den insgesamt ausgereisten DDR-Bürgern reisten bis 04.00 Uhr
wieder in die DDR ein.
Über die Grenzübergangsstellen der Staatsgrenze Westring reisten
zum besuchsweisen Aufenthalt bzw. zur ständigen Ausreise aus. Bisher reisten
wieder in die DDR zurück.
Durch Reisende wurde bekannt, daß der Bürgermeister von Duderstadt in einer Gaststätte für die auf vorgenannte Weise ausgereisten DDR-Bürger einen Empfang gab.
An der Grenzübergangsstelle Hirschberg versuchten insgesamt 7 Personen aus der BRD kommend an der Grenzübergangsstelle journalistisch tätig zu werden. Sie wurden zurückgewiesen mit der Begründung, sich an die dafür zuständigen Organe der DDR zu wenden. Ein gleicher Versuch wurde durch 4 Personen an der Grenzübergangsstelle Salzwedel unternommen.
Hauptabteilung VI (Passkontrolle, Tourismus, Interhotel)
Die Hauptabteilung VI befasste sich mit dem grenzüberschreitenden Reiseverkehr. Sie wurde 1970 durch Fusion der Arbeitsgruppen "Passkontrolle und Fahndung" und "Sicherung des Reiseverkehrs" sowie der Zoll-Abwehr (Überwachung der Zoll-Mitarbeiter) gebildet. Die Hauptabteilung VI hatte an den Grenzübergängen der DDR die Reisenden zu kontrollieren und abzufertigen. Deshalb waren die DDR-Passkontrolleure hauptamtliche Mitarbeiter der Hauptabteilung VI. Zur Tarnung trugen sie Uniformen der Grenztruppen. Zunächst war 1950 die Grenzpolizei mit der Grenzabfertigung beauftragt worden.
Bei der Hauptabteilung VI wurden die Daten der Einreisenden einer ersten Analyse unterzogen, um politisch-operativ interessante Personen herauszufiltern. Die Grenzkontrolle umfasste für die Hauptabteilung VI auch die Überwachung der westlichen Grenzkontrollstellen, in Westberlin auch die der Flughäfen Tegel und Tempelhof sowie der Polizei und des Grenzzolldienstes. Zum Verantwortungsbereich der Hauptabteilung VI gehörte die lückenlose Überwachung der Transitstrecken von und nach Westberlin. Bei ihr liefen Avisierungen für bevorzugte Grenzabfertigungen zusammen.
1970 übernahm sie von der Hauptabteilung XX/5 die Aufgabe, Fluchtversuche zu unterbinden und Fluchthelfer im Westen zu verfolgen, was 1975/76 zu Teilen an die Zentrale Koordinierungsgruppe überging (Republikflucht). Die Hauptabteilung VI überwachte touristische Einrichtungen in der DDR, darunter die Reisebüros und die Interhotels. Ebenso kontrollierte sie DDR-Bürger bei ihren Reisen ins sozialistische Ausland, um Kontakte zu westlichen Staatsbürgern und Fluchtversuche ggf. zu unterbinden.
Die Operativgruppen des MfS in der ČSSR, Ungarn und Bulgarien waren ihr von 1970 bis 1989 unterstellt. 1989 gab sie deren Leitung an die Hauptabteilung II (HA II) ab. Im Verantwortungsbereich der Hauptabteilung VI wurden 1979–1981 drei Mordanschläge auf den Fluchthelfer Wolfgang Welsch durchgeführt, die dieser nur knapp überlebte.
Charakteristisch für die Hauptabteilung VI war die enge Kooperation mit vielen MfS-Diensteinheiten und anderen Institutionen wie Grenztruppen und Zoll, da im Bereich der Hauptabteilung VI eine Vielzahl von relevanten Erstinformationen und Daten zusammenkam. 1985 führte die Hauptabteilung VI 1.064 IM, darunter 67 West-IM, von denen 62 in Westberlin lebten.
Organisationsstruktur in der MfS-Zentrale, die durch den Minister oder einen seiner Stellvertreter direkt angeleitet wurde. Die zuletzt 13 Hauptabteilungen wurden durch Einzelleiter geführt. Die weiter untergliederten und nach dem Linienprinzip tätigen HA waren für komplexe, abgegrenzte Bereiche operativ zuständig und federführend verantwortlich. Der Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche war an Ressorts oder geheimdienstlichen Praktiken (z. B. Verkehrswesen, Beobachtung, Funkspionage) orientiert.
Weisung zur Sicherheit und Ordnung auf der Grenzübergangsstelle Heinrich-Heine-Straße Dokument, 26 Seiten
Reaktionen der DDR-Bevölkerung und Vorkommnisse anlässlich der zeitweiligen Aussetzung des pass- und visafreien Reiseverkehrs in die Tschechoslowakei Dokument, 6 Seiten
Bericht über einen Fluchtversuch auf der Grenzübergangsstelle Chausseestraße Dokument, 6 Seiten
Wochenübersicht Nr. 43/89 vom 23. Oktober 1989 Dokument, 25 Seiten