Signatur: BStU, MfS, BV Suhl, Abt. XX, Nr. 486, Bd. 4, Bl. 51-56
Die SED-Führung im DDR-Bezirk Suhl ließ sich über den Verlauf des Wasunger Karnevals berichten. Hier eine Information der MfS-Bezirksverwaltung Suhl aus dem Jahr 1988.
Der traditionsreiche Wasunger Karneval wurde Mitte der 1970er Jahre zu einem beliebten Reiseziel unangepasster Jugendlicher. Sie wollten dem grauen DDR-Alltag entfliehen und suchten in der thüringischen Provinz ein paar Tage voller Spaß, Alkohol und Abwechslung. Die selbsternannten "Kunden" wurden dabei durch die Stasi systematisch überwacht, wie aufgefundene Unterlagen, Fotografien und Filme dokumentieren.
Aus der gesamten DDR reisten Jugendliche in die thüringische Provinz. Ihre Ausrüstung bestand oft nur aus einigen Flaschen Bier und einer Decke. Wer die Kontrollpunkte der Transport- und Volkspolizei passieren konnte und es bis Wasungen schaffte, übernachtete dort, wo er konnte: in Schlafsälen, in Kellern, in Scheunen oder auf Dachböden. In der Besuchermenge bildeten die "Kunden" eine Gruppe, die sich deutlich von dem traditionellen Karnevalsumzug abhob. Statt Prinzenkostüm oder Narrenkappe trugen sie lange Haare, Bärte, Jeans und Parka.
Die unkontrollierte Ankunft von mehreren hundert unangepassten Jugendlichen forderte die "staatlichen Organe" der DDR heraus. Denn die "Kunden" folgten nicht dem Umzugstreiben oder lauschten den Büttenreden, sondern sie stürmten überfallartig die wenigen Kneipen der Kleinstadt.
Die Einschätzung beginnt damit, dass durch die Büttenreden und Karnevalsumzüge keinerlei "negativ-feindliche" Äußerungen getätigt worden seien. Die Kritik an kommunalpolitischen Fragestellungen, so das MfS, sei "sachlich" gewesen. Vornehmlich informierte das MfS über den Aufenthalt "negativ-dekadenter" Jugendlicher aus der gesamten DDR in Wasungen. In diesem Zusammenhang wurde hervorgehoben, dass das Benehmen der "Kunden" dem "Charakter von Karnevalsveranstaltungen und den Auffassungen sozialistischer Kultur und Moral" vollkommen zuwider lief.
Bezirksverwaltung Suhl – Leiter
Suhl
22.2.88
26/88
Der diesjährige 453. Wasunger Karneval fand in der Zeit vom 7.2. bis 16.2. 1988 statt. Mit dem traditionellen Karnevalsumzug am 13.2.1988, dem Rosenmontagsumzug, den Großveranstaltungen in dar Turnhalle und weiteren Veranstaltungen in Wasungen war der 453. Karneval ein kulturpolitischer Höhepunkt im Territorium.
Die 62 gestalteten Bilder der Karnevalsumzüge und die Büttenreden enthielten keine feindlich-negativen Aussagen. Ihr Inhalt war auf die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung der Stadt Wasungen ausgerichtet. Kritisch und sachlich wurden kommunalpolitische Probleme zum Schwimmbad, zur Kaufhalle und Fragen der Versorgung angesprochen.
Alle Veranstaltungen verliefen planmäßig und störungsfrei. Am Festumzug nahmen 1300 Mitwirkende und ca. 20 000 Besucher teil. Die Abendveranstaltungen am 12., 13. und 14. 2. wurden von etwa 2000 bis 2500 Personen, überwiegend aus Wasungen und den umliegenden Ortschaften, besucht. Das entsprach etwa den Besucherzahlen der Vorjahre.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
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Signatur: BStU, MfS, BV Suhl, Abt. XX, Nr. 486, Bd. 4, Bl. 51-56
Die SED-Führung im DDR-Bezirk Suhl ließ sich über den Verlauf des Wasunger Karnevals berichten. Hier eine Information der MfS-Bezirksverwaltung Suhl aus dem Jahr 1988.
Der traditionsreiche Wasunger Karneval wurde Mitte der 1970er Jahre zu einem beliebten Reiseziel unangepasster Jugendlicher. Sie wollten dem grauen DDR-Alltag entfliehen und suchten in der thüringischen Provinz ein paar Tage voller Spaß, Alkohol und Abwechslung. Die selbsternannten "Kunden" wurden dabei durch die Stasi systematisch überwacht, wie aufgefundene Unterlagen, Fotografien und Filme dokumentieren.
Aus der gesamten DDR reisten Jugendliche in die thüringische Provinz. Ihre Ausrüstung bestand oft nur aus einigen Flaschen Bier und einer Decke. Wer die Kontrollpunkte der Transport- und Volkspolizei passieren konnte und es bis Wasungen schaffte, übernachtete dort, wo er konnte: in Schlafsälen, in Kellern, in Scheunen oder auf Dachböden. In der Besuchermenge bildeten die "Kunden" eine Gruppe, die sich deutlich von dem traditionellen Karnevalsumzug abhob. Statt Prinzenkostüm oder Narrenkappe trugen sie lange Haare, Bärte, Jeans und Parka.
Die unkontrollierte Ankunft von mehreren hundert unangepassten Jugendlichen forderte die "staatlichen Organe" der DDR heraus. Denn die "Kunden" folgten nicht dem Umzugstreiben oder lauschten den Büttenreden, sondern sie stürmten überfallartig die wenigen Kneipen der Kleinstadt.
Die Einschätzung beginnt damit, dass durch die Büttenreden und Karnevalsumzüge keinerlei "negativ-feindliche" Äußerungen getätigt worden seien. Die Kritik an kommunalpolitischen Fragestellungen, so das MfS, sei "sachlich" gewesen. Vornehmlich informierte das MfS über den Aufenthalt "negativ-dekadenter" Jugendlicher aus der gesamten DDR in Wasungen. In diesem Zusammenhang wurde hervorgehoben, dass das Benehmen der "Kunden" dem "Charakter von Karnevalsveranstaltungen und den Auffassungen sozialistischer Kultur und Moral" vollkommen zuwider lief.
Das positive Gesamtbild des 453. Wasunger Karnevals wurde, wie in den Vorjahren, durch den Aufenthalt von insgesamt etwa 700 jugendlichen Personen mit negativ-dekadentem Äußeren beeinträchtigt, die überwiegend vom 10.2. bis 13.2.1988 an und ab 14.2.1988 wieder abreisten. Diese Personenkategorie kam aus allen Bezirken der DDR, Schwerpunkte waren Personen aus der Hauptstadt der DDR, Berlin, und aus den Bezirken Potsdam, Halle, Magdeburg und Leipzig.
Etwa 70 bis 75 % der negativ-dekadenten Personen reisten erstmals an. Die Gesamtzahl und der Anteil dieser Personen ist zum Vorjahr gleichleibend.
Unter den negativ-dekadenten befand sich ein größerer Anteil kriminell gefährdeter Personen als in den Vorjahren. Der überwiegende Teil der Negativ-dekadenden (sic!) reiste ohne nachgewiesene Übernachtungsmöglichkeit an und versuchte, in unverschlossenen Objekten, Scheunen, Ställen, Hauseingängen und in der Gärtnerei zu übernachten. Mehrere Jugendliche übernachteten bei Verbindungspersonen in Wasungen und umliegenden Orten, in mitgeführten PKW sowie im Freien.
Während der Abendveranstaltungen konzentrierten sie sich in der Speisehalle der Oberschule, die fest nur durch diese Personenkategorie besucht wurde, und zum Teil in der HOG "Paradies" wo sie durch ein völlig unkultiviertes Verhalten auffielen.
Besondere abstoßend wirkten das unästhetische, unsaubere Äußere der negativ-dekadenten Personen, ihre gleichgelagerten Verhaltensweisen, indem sie selbst ihre Notdurft innerhalb der Speisehalle verrichteten, geleerte Flaschen umherwarfen, so dass in der Speisehalle chaotische Zustände herrschten. Diese und ähnliche Verhaltensweisen zeigten sie auch außerhalb der Veranstaltungsobjekte.
Im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform der DDR vom Sommer 1952 wurden die fünf Länderverwaltungen für Staatssicherheit (LVfS) in 14 Bezirksverwaltungen umgebildet. Daneben bestanden die Verwaltung für Staatssicherheit Groß-Berlin und die Objektverwaltung "W" (Wismut) mit den Befugnissen einer BV. Letztere wurde 1982 als zusätzlicher Stellvertreterbereich "W" in die Struktur der BV Karl-Marx-Stadt eingegliedert.
Der Apparat der Zentrale des MfS Berlin und der der BV waren analog strukturiert und nach dem Linienprinzip organisiert. So waren die Hauptabteilung II in der Zentrale bzw. die Abteilungen II der BV für die Schwerpunkte der Spionageabwehr zuständig usw. Auf der Linie der Hauptverwaltung A waren die Abteilung XV der BV aktiv. Einige Zuständigkeiten behielt sich die Zentrale vor: so die Militärabwehr (Hauptabteilung I) und die internationalen Verbindungen (Abteilung X) oder die Arbeit des Büros für Besuchs- und Reiseangelegenheiten in Westberlin (Abteilung XVII). Für einige Aufgabenstellungen wurde die Bildung bezirklicher Struktureinheiten für unnötig erachtet. So gab es in den 60er und 70er Jahren für die Abteilung XXI und das Büro der Leitung II Referenten für Koordinierung (RfK) bzw. Offiziere BdL II. Für spezifische Aufgaben gab es territorial bedingte Diensteinheiten bei einigen BV, z. B. in Leipzig ein selbständiges Referat (sR) Messe, in Rostock die Abt. Hafen.
An der Spitze der BV standen der Leiter (Chef) und zwei Stellv. Operativ. Der Stellv. für Aufklärung fungierte zugleich als Leiter der Abt. XV. Die Schaffung des Stellvertreterbereichs Operative Technik im MfS Berlin im Jahre 1986 führte in den BV zur Bildung von Stellv. für Operative Technik/Sicherstellung.
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Fernschreiben an die "Stellvertreter Operativ" der MfS-Bezirksverwaltungen zum Wasunger Karneval 1978 Dokument, 1 Seite
Zuführungen und Zurückweisungen rund um den Wasunger Karneval 1989 Dokument, 1 Seite
Geheimer Bericht an die SED-Führung im Bezirk Suhl zum Wasunger Karneval 1978 Dokument, 3 Seiten
Überwachungsfotos von "Kunden" auf dem Wasunger Karneval 6 Fotografien