Signatur: BStU, MfS, HA XXII, Nr. 19188, Bl. 11-13
Mit falschen Papieren wurden die Mitglieder der Bewegung 2. Juni Inge Viett, Ingrid Siepmann und Regine Nikolai von den tschechoslowakischen Behörden festgenommen. Die Staatssicherheit der DDR arrangierte ihre Freilassung.
Anfang der siebziger Jahre entstanden in der Bundesrepublik linksterroristische Gruppen, wie die Rote Armee Fraktion (RAF) und die Bewegung 2. Juni. Die Staatssicherheit befürchtete zunächst, dass die Gewalt der Linksterroristen auch in die DDR „überschwappen“ könnte. Mitglieder beider Gruppen reisten gelegentlich durch die DDR, teilweise mit Handfeuerwaffen und unter falschem Namen und damit unerkannt.
1977 erreichte die terroristische Bedrohung der Bonner Republik durch die Linksterroristen im so genannten "Deutschen Herbst" ihren "Höhepunkt". Um mehr über die Täter und ihre Absichten zu erfahren, zeigte sich die Staatssicherheit ihnen gegenüber bald noch hilfsbereiter als zuvor.
Nach der Befreiung des inhaftierten Terroristen Till Meyer aus dem Gefängnis Berlin-Moabit in West-Berlin am 27. Mai 1978 durch die Bewegung 2. Juni, floh das Kommando über Ost-Berlin nach Bulgarien. Wenige Wochen später verhaftete eine westdeutsche Anti-Terror-Einheit Till Meyer. Inge Viett konnte sich zusammen mit Ingrid Siepmann und Regine Nikolai über Sofia nach Prag absetzen. Dort wurden sie von den Behörden mit falschen Papieren festgenommen.
Inge Viett forderte daraufhin eine Kontaktaufnahme mit der DDR-Geheimpolizei, zu der sie gute Kontakte pflegte. Das MfS handelte und schickte eine Delegation nach Prag, um die drei Frauen aus dem Gefängnis zu holen. Das vorliegende Dokument beschreibt die Umstände der Festnahme der Terroristinnen und hält das Ergebnis fest: Viett, Siepmann und Nikolai wurden der Stasi übergeben, die sie in einem "konspirativen Objekt" versteckte.
Berlin, den 30.06.1978
2 Expl./ 1. Ausf./De
[Handschriftliche Ergänzung: 5631/78]
Information
Am 28. 06. 1978 führte Gen. Oberst Damm Leiter der Abteilung X des MfS, im Auftrag des Gen. Ministers sowie auf Ersuchen des Ministers des Innern der CSS in Prag eine Beratung mit dem 1. Stellvertreter des Ministers des Innern der CSSR, Gen. Hanulak, durch, an der Gen. Oberst Dr. Dahl, Leiter der Abteilung XXII, und Gen. Hptm. Eberl von der Hauptabteilung IX des MfS sowie die Leiter der Abteilung II und der Abteilung für internationale Verbindungen des Ministeriums des Innern der CSSR teilnahmen.
Der Zweck dieser Beratung bestand in der Erzielung und Abstimmung einheitlicher, koordinierter politischer und rechtlicher Maßnahmen im Rahmen der Behandlung von international in Festnahmefahndung stehenden linksextremistischen Terroristen aus der BRD und Westberlin. Im Verlaufe der Beratung informierten die Genossen der CSSR über die Umstände einer am 27.06.1978 auf dem Flughafengelände in Prag erfolgten vorläufigen Festnahme von drei Bürgerinnen der BRD, die mit dem Flugzeug aus der VR Bulgarien kommend mit ge- bzw. verfälschten Personaldokumenten in die CSSR eingereist waren. Die Leitung des Ministeriums des Innern der CSSR war durch die Sicherheitsorgane der VR Bulgarien erst 20 Minuten vor Ankunft dieses Flugzeuges in Prag darüber unterrichtet worden, daß diese Personen im Besitz von Schußwaffen gewesen waren, die in einem Versteck in der Nähe eines von diesen Personen benutzten Bungalow in der VR Bulgarien sichergestellt worden seien. Im Rahmen durchgeführter Vernehmungen hatten sich diese drei Personen als die Angehörigen der in Westberlin etablierten linksextremistischen Gruppierung "Bewegung 2. Juni", Inge V., Ingrid S. und Renate (?) ausgegeben sowie ausgesagt, in der
Abteilung XXII (Terrorabwehr)
1975 entstanden aus einer Unterstruktur der AG beim 1. Stellv. des Ministers; 1989 mit der Abt. XXIII zur HA XXII zusammengeführt.
Hauptabteilung IX (Untersuchungsorgan)
Die Hauptabteilung IX war die für strafrechtliche Ermittlungen und Strafverfolgung zuständige Diensteinheit. Sie hatte wie die nachgeordneten Abteilung IX in den Bezirksverwaltung (BV) (Linie IX) die Befugnisse eines Untersuchungsorgans, d. h. einer kriminalpolizeilichen Ermittlungsbehörde. Ursprünglich vor allem für die sog. Staatsverbrechen zuständig, befasste sie sich in der Honecker-Ära überwiegend mit Straftaten gegen die staatliche Ordnung, vor allem mit Fällen "ungesetzlichen Grenzübertritts" und Delikten, die mit Ausreisebegehren zu tun hatten. Nach StPO der DDR standen auch die Ermittlungsverfahren der Linie IX unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft, in der Praxis arbeitete das MfS hier jedoch weitgehend eigenständig.
Die Hauptabteilung IX und die Abteilungen IX der BV waren berechtigt, Ermittlungsverfahren einzuleiten sowie Festnahmen, Vernehmungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen und andere strafprozessuale Handlungen vorzunehmen sowie verpflichtet, diese Verfahren nach einer bestimmten Frist - meist durch die Übergabe an die Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung - zum Abschluss zu bringen (Untersuchungsvorgang). Daneben führte sie Vorermittlungen zur Feststellung von Ursachen und Verantwortlichen bei Großhavarien (industriellen Störfällen), Flugblättern widerständigen Inhalts, öffentlichen Protesten u. ä. (Vorkommnisuntersuchung, Sachverhaltsprüfung).
Die Hauptabteilung IX gehörte zeit ihres Bestehens zum Anleitungsbereich Mielkes, in den ersten Jahren in seiner Funktion als Staatssekretär und 1. stellv. Minister, ab 1957 als Minister. Ihre Leiter waren Alfred Karl Scholz (1950-1956), Kurt Richter (1956-1964), Walter Heinitz (1964-1973) und Rolf Fister (1973-1989).
1953 bestand die Hauptabteilung IX aus drei Abteilungen, die für Spionagefälle, Fälle politischer "Untergrundtätigkeit" und die Anleitung der Abt. IX der BV zuständig waren. Durch Ausgliederungen entstanden weitere Abteilungen, so u. a. für Wirtschaftsdelikte, Militärstraftaten, Delikte von MfS-Angehörigen und Fluchtfälle. Ende 1988 bestand die Hauptabteilung IX aus zehn Untersuchungsabteilungen sowie der Auswertungs- und Kontrollgruppe (AKG) und der AGL (Arbeitsgruppe des Ministers (AGM)) mit insgesamt 489 Mitarbeitern. Auf der Linie IX arbeiteten 1.225 hauptamtliche Mitarbeiter.
Die Linie IX wirkte eng mit den Abteilung XIV (Haft) und der Linie VIII (Beobachtung, Ermittlung), die für die Durchführung der Festnahmen zuständig waren, zusammen. Bei der juristischen Beurteilung von Operativen Vorgängen (OV) wurde die Hauptabteilung IX von den geheimdienstlich arbeitenden Diensteinheiten häufig einbezogen.
Linie II (Spionageabwehr)
Die Hauptabteilung II wurde 1953 durch Fusion der Abteilungen II (Spionage) und IV (Spionageabwehr) gebildet. Sie deckte mit der ihr nachgeordneten Linie II klassische Bereiche der Spionageabwehr ab. Dazu zählte auch die interne Abwehrarbeit im MfS, etwa die Überwachung aktiver und ehemaliger MfS-Mitarbeiter, von Einrichtungen der KGB-Dienststelle Berlin-Karlshorst sowie von Objekten der sowjetischen Streitkräfte und der Sektion Kriminalistik an der Ostberliner Humboldt-Universität. Darüber hinaus betrieb die Hauptabteilung II im Rahmen der "offensiven Spionageabwehr" aktive Spionage in der Bundesrepublik; diese zielte auf westliche Geheimdienste, auf Bundeswehr, Polizei, Massenmedien, Emigrantenverbände u. a.
Die Hauptabteilung II überwachte, sicherte und kontrollierte die DDR-Botschaften im Ausland, die ausländischen diplomatischen Vertretungen in der DDR sowie das Außenministerium der DDR. DDR-Bürger, die westliche Botschaften bzw. die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin aufsuchten, wurden systematisch erfasst. In den Zuständigkeitsbereich der Hauptabteilung II fielen auch die Überwachung der in der DDR lebenden Ausländer sowie die Betreuung von Funktionären und Mitgliedern illegaler, verfolgter kommunistischer Parteien, die in der DDR Aufnahme fanden.
Besondere Brisanz beinhaltete die politisch-operative Sicherung der Westkontakte von SED und FDGB. So kümmerte sich die Hauptabteilung II um die Militärorganisation der DKP ("Gruppe Ralf Forster", eine ca. 220 Bundesbürger umfassende Sabotage- und Bürgerkriegstruppe), organisierte in Absprache mit der NVA deren militärische Ausbildung, finanzierte die Gruppe und stattete sie mit Falschpapieren aus.
Die Hauptabteilung II sicherte (bis 1961 und wieder ab 1980; zwischenzeitlich gab es hierfür die Abteilung BdL II) die Abteilung Verkehr des ZK der SED ab, die kommunistische Organisationen im Westen unterstützte und dort SED-Tarnfirmen betrieb. Die Hauptabteilung II versuchte, Aktivitäten bundesdeutscher Behörden gegen DKP, SEW und SED-Tarnfirmen festzustellen und zu verhindern.
Im Ergebnis der Entspannungspolitik nahmen Begegnungen zwischen Ost- und Westdeutschen zu, westliche Medienvertreter konnten sich in der DDR akkreditieren. Das veranlasste den beträchtlichen personellen Ausbau der Hauptabteilung II. Sie war nun auch zuständig für die Überwachung westlicher Journalisten in der DDR. Ziel war es, unerwünschten Informationsabfluss und unbequeme, kritische Berichterstattung zu verhindern. 1987 übertrug Erich Mielke in der Dienstanweisung 1/87 der Hauptabteilung II die Führung der Spionageabwehr, um ein unkoordiniertes Nebeneinander verschiedener Diensteinheiten zu vermeiden.
Die Hauptabteilung II leitete von Beginn an die Operativgruppen des MfS in der Sowjetunion und Polen, seit 1989 auch in der ČSSR, Ungarn und Bulgarien. Mit den entsprechenden Spionageabwehr-Abteilungen in diesen Ländern gab es eine ausgeprägte bi- und multilaterale Zusammenarbeit, die aber erst in den frühen 80er Jahren vertraglich fixiert wurde (kommunistischer Geheimdienst). Im Dezember 1981 übernahm die Hauptabteilung II innerhalb des MfS die Federführung bei der Bekämpfung der unabhängigen polnischen Gewerkschaft "Solidarność". Schließlich unterstützte die Hauptabteilung II Sicherheitsorgane in (pro)sozialistischen Entwicklungsländern, entsandte Berater und bildete deren Geheimdienstmitarbeiter in der DDR aus.
Die Hauptabteilung II verfügte über eigene Abteilungen für Fahndung, Logistik, operative Technik und Beobachtung und war in dieser Hinsicht nicht auf andere Abteilungen angewiesen. Zum unmittelbaren Anleitungsbereich des Leiters der Hauptabteilung II gehörte die Abteilung M (Postkontrolle).
1989 zählte die Hauptabteilung II in der Ostberliner Zentrale 1.432 hauptamtliche Mitarbeiter, in den Bezirksverwaltungen (BV) auf der Linie II weitere 934. Hinzu kamen Mitarbeiter in den Kreisdienststellen (KD), die die Aufgaben der Linie II ausführten. Genaue Zahlen der Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) ließen sich bis heute nicht ermitteln. Die Hauptabteilung II hatte mindestens 3.000 IM, die Abteilungen II der BV etwa 4.000; hinzu kamen weitere IM der KD. 1976 führte die Hauptabteilung II im Westen 109 IM. Unter den West-IM befanden sich z. T. hochkarätige Agenten.
1956 entstanden. Aufgaben: Förderung und Weiterentwicklung der internationalen Beziehungen des MfS, insbesondere der Zusammenarbeit mit den "Bruderorganen" sozialistischer Länder und der Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen befreundeter Staaten sowie Übersetzerdienst für die Diensteinheiten des MfS.
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Signatur: BStU, MfS, HA XXII, Nr. 19188, Bl. 11-13
Mit falschen Papieren wurden die Mitglieder der Bewegung 2. Juni Inge Viett, Ingrid Siepmann und Regine Nikolai von den tschechoslowakischen Behörden festgenommen. Die Staatssicherheit der DDR arrangierte ihre Freilassung.
Anfang der siebziger Jahre entstanden in der Bundesrepublik linksterroristische Gruppen, wie die Rote Armee Fraktion (RAF) und die Bewegung 2. Juni. Die Staatssicherheit befürchtete zunächst, dass die Gewalt der Linksterroristen auch in die DDR „überschwappen“ könnte. Mitglieder beider Gruppen reisten gelegentlich durch die DDR, teilweise mit Handfeuerwaffen und unter falschem Namen und damit unerkannt.
1977 erreichte die terroristische Bedrohung der Bonner Republik durch die Linksterroristen im so genannten "Deutschen Herbst" ihren "Höhepunkt". Um mehr über die Täter und ihre Absichten zu erfahren, zeigte sich die Staatssicherheit ihnen gegenüber bald noch hilfsbereiter als zuvor.
Nach der Befreiung des inhaftierten Terroristen Till Meyer aus dem Gefängnis Berlin-Moabit in West-Berlin am 27. Mai 1978 durch die Bewegung 2. Juni, floh das Kommando über Ost-Berlin nach Bulgarien. Wenige Wochen später verhaftete eine westdeutsche Anti-Terror-Einheit Till Meyer. Inge Viett konnte sich zusammen mit Ingrid Siepmann und Regine Nikolai über Sofia nach Prag absetzen. Dort wurden sie von den Behörden mit falschen Papieren festgenommen.
Inge Viett forderte daraufhin eine Kontaktaufnahme mit der DDR-Geheimpolizei, zu der sie gute Kontakte pflegte. Das MfS handelte und schickte eine Delegation nach Prag, um die drei Frauen aus dem Gefängnis zu holen. Das vorliegende Dokument beschreibt die Umstände der Festnahme der Terroristinnen und hält das Ergebnis fest: Viett, Siepmann und Nikolai wurden der Stasi übergeben, die sie in einem "konspirativen Objekt" versteckte.
Vergangenheit an mehreren terroristischen Gewaltakten beteiligt gewesen zu sein, u.a. am 27.05.1978 an der gewaltsamen Befreiung von Till M. aus der Haftanstalt in Westberlin-Moabit, und sich zuletzt mit T. M. sowie weiteren Mitgliedern dieser Gruppierung in der VR Bulgarien aufgehalten zu haben. Über die Umstände der am 22.06.1978 in der VR Bulgarien erfolgten Festnahme von Till M., Gabriele R., Gudrun S. und Angelika G. erlangten sie keine konkrete Kenntnis, da sie sich zeitweilig getrennt hatten. Trotz der den bulgarischen Sicherheitsorganen konkret bekannt gewesenen Tatsache, daß sie mit zur Gruppe um T. M. gehörten, seien sie nicht ebenfalls festgenommen bzw. dazu vernommen worden.
Aus Sicherheitsgründen hatten sie sich jedoch entschlossen, die VR Bulgarien zu verlassen. Zum Zwecke der Feststellung bzw. Bestätigung ihrer Identität hatten Inge V. und Ingrid S. unabhängig voneinander die Genossen der CSSR gebeten, sich mit den Genossen des MfS in Verbindung zu setzen, zu denen sie in der Vergangenheit bereits Kontakt hatten.
Im Ergebnis der Beratung wurde ausgehend von der übereinstimmenden Position der Leitung des Ministeriums des Innern der CSSR sowie des MfS aus politischen Gründen auf keinen Fall eine Auslieferung dieser Personen an die BRD vorzunehmen, die Festlegung getroffen, die drei genannten Personen dem MfS zu übergeben. Dafür wurde als offizieller Anlaß genutzt, daß diese Personen bereits am 27.05.1978 mit gefälschten Personaldokumenten von Westberlin durch die DDR in die CSSR eingereist waren und daß deshalb eine Zurückweisung der Personen in die DDR erfolgt.
Gen. Hanulak gab die Zusicherung, daß die Sicherheitsorgane der VR Bulgarien über den Verbleib dieser drei Personen keine Kenntnis erhalten. Wie er äußerte, werde er sich über die völlig ungenügende und kurzfristige Informierung bei den bulgarischen Sicherheitsorganen beschweren.
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