Signatur: BStU, MfS, HA IX, Nr. 16677, Bl. 46
Für den Fall, dass der kritische Liedermacher Wolf Biermann nach seiner Ausbürgerung versuchen würde wieder in die DDR einzureisen, sollte dessen Reisepass eingezogen werden. Die Stasi hatte außerdem einen Text vorbereitet, der dann verlesen werden sollte.
Wolf Biermann, Sohn einer kommunistischen Arbeiterfamilie aus Hamburg, siedelte 1953 als Schüler in die DDR über. Er hielt den Staat für das bessere Deutschland. Dort nahm er ein Studium am Berliner Ensemble, dem von Bertolt Brecht gegründeten Theater, auf. Mit seinen Liedern und Gedichten, die er bald zu schreiben begann, geriet er zunehmend in Konflikt mit der strengen Linie der Staatspartei SED. 1965 verhängte das Politbüro ein totales Auftrittsverbot gegen den Künstler. Darüber hinaus hörte die Staatssicherheit Biermanns Wohnung und Telefongespräche ab, las seine Briefe und setzte auch Spitzel auf ihn an. Ihn einzusperren oder „verschwinden“ zu lassen hätte dagegen zu viele unerwünschte internationale Reaktionen nach sich gezogen.
Obwohl seine künstlerischen Wirkungsmöglichkeiten dadurch auf private Räume eingeschränkt wurden, gewann Biermann weiterhin an Popularität – auch im Westen Deutschlands. Dort veröffentlichte er Schallplatten und Gedichtbände. Das SED-Regime konnte dies nicht verhindern und auch Auftritte des Liedermachers in anderen Staaten formal nicht verbieten. Die DDR-Oberen verweigerten ihm jedoch die Ausreise, wenn es Anfragen an den Liedermacher aus dem Ausland gab. Die einzige Ausnahme sei, so bestimmte SED-Chefideologe Kurt Hager, „dass Biermann eine Ausreise in kapitalistische Länder gestattet werden sollte in der Hoffnung, dass er nicht in die DDR zurückkehrt“. Das aber lag dem Sänger fern.
Deshalb entwickelte das MfS 1973 einen Plan, Biermann gegen seinen Willen auszubürgern. Die Stasioffiziere entwarfen eine Strategie, die vorsah, den Liedermacher in den Westen reisen zu lassen, um ihm dann, wenn er dort seine Lieder öffentlich singt, die Staatsbürgerschaft zu entziehen.
Drei Jahre später bot sich die Gelegenheit, den Plan umzusetzen. Vordergründig erlaubten die Machthaber dem Liedermacher, auf Einladung der Gewerkschaft IG Metall in Köln aufzutreten. Bei diesem Konzert versuchte Biermann leidenschaftlich, die dem Westen fremd gewordene DDR zu erklären. Das Konzert diente der SED-Führung als Vorwand, den Künstler hinterrücks auszubürgern und ihm die Rückkehr zu verweigern.
Die Stasi hatte das Vorhaben lange in ungezählten Maßnahmeplänen durchgespielt und gegen alle Eventualitäten abgesichert. Davon zeugt auch die vorliegende Anordnung, die für den Fall erlassen wurde, dass Biermann nach seiner Ausbürgerung versuchen sollte, wieder in die DDR einzureisen.
Dem Bürger
Biermann, Karl-Wolf geb. am 15. 11, 1936 in Hamburg
wohnhaft: 104 Berlin, Chausseestr. 131
letzter Aufenthalt: BRD
ausweriesen durch: Reisepaß der DDR Nr. [verblasst und unleserlich]
ist im Falle des Erscheinens zur Einreise in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik mitzuteilen,
"Ihnen wurde gemäß § 13 des Gesetzes über die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik aberkannt, da sie während ihres Aufenthaltes außerhalb der DDR durch die Begehung von Handlungen gegen die Interessen der DDR Ihre staatsbürgerlichen Pflichten grob verletzten. Auf Grund dessen wird Ihnen eine Einreise in das Gebiet der DDR verwehrt."
Der Reisepaß Nr. [verblasst und unleserlich] der genannten Person ist einzuziehen.
Wolf Biermann bei der Ausreise am Grenzübergang Friedrichstraße 1 Fotografie
Dokumentation über Wolf Biermanns Ausreise aus der DDR am 11.11.1976 Dokument, 4 Seiten
Plan zur Durchführung der Ausbürgerung Wolf Biermanns mit Argumentationshilfen Dokument, 5 Seiten
Offene Fragen zur Ausbürgerung Wolf Biermanns Dokument, 5 Seiten