Signatur: BStU, MfS, HA XXII, Tb, Nr. 8
Eine anonyme Anruferin stellte nur wenige Tage nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns gegenüber der Ständigen Vertretung der DDR in der Bundesrepublik ihre Sicht auf den Fall dar.
Wolf Biermann, Sohn einer kommunistischen Arbeiterfamilie aus Hamburg, siedelte 1953 als Schüler in die DDR über. Er hielt den Staat für das bessere Deutschland. Dort nahm er ein Studium am Berliner Ensemble, dem von Bertolt Brecht gegründeten Theater, auf. Mit seinen Liedern und Gedichten, die er bald zu schreiben begann, geriet er zunehmend in Konflikt mit der strengen Linie der Staatspartei SED. 1965 verhängte das Politbüro ein totales Auftrittsverbot gegen den Künstler. Drüber hinaus hörte die Staatssicherheit Biermanns Wohnung und Telefongespräche ab, las seine Briefe und setzte auch Spitzel auf ihn an. Ihn einzusperren oder „verschwinden“ zu lassen hätte dagegen zu viele unerwünschte internationale Reaktionen nach sich gezogen.
Obwohl seine künstlerischen Wirkungsmöglichkeiten dadurch auf private Räume eingeschränkt wurden, gewann Biermann weiterhin an Popularität – auch im Westen Deutschlands. Dort veröffentlichte er Schallplatten und Gedichtbände. Das SED-Regime konnte dies nicht verhindern und auch Auftritte des Liedermachers in anderen Staaten formal nicht verbieten. Die DDR-Oberen verweigerten ihm jedoch die Ausreise, wenn es Anfragen an den Liedermacher aus dem Ausland gab.
1976 lud die westdeutsche Gewerkschaft IG Metall Biermann zu einer Reihe von Auftritten bei Jugendveranstaltungen der Gewerkschaft ein. Das SED-Regime erlaubte dem Liedermacher die Teilnahme, in der Absicht, ihn nach einem Auftritt in Köln am 16. November 1976 auszubürgern.
Eine anonyme Anruferin meldete sich wenige Tage nach dem Vollzug der Ausbürgerung bei der Ständigen Vertretung der DDR in der Bundesrepublik in Bonn telefonisch und hinterließ ihre Meinung zu diesem Fall.
[Sprecher:]
Es folgt die Aufzeichnung des Anrufes vom 19. November 1976, 11:15 Uhr in der Vermittlung bei Genossin Weißmann. Die Anruferin stellte sich nicht vor.
[Frau Weißmann:]
Ständige Vertretung der DDR, guten Tag.
[Anruferin:]
Guten Tag, sagen Sie bitte ... Ich wollte Ihnen eigentlich nur sagen, dass wir das richtig finden, dass Sie den Biermann ausgebürgert haben und dass wir den hier in der Bundesrepublik auch nicht haben wollen. Vielleicht können Sie das mal weiter geben.
[Frau Weißmann:]
Ja.
[Anruferin:]
Auf Wiedersehen.
Reiseantrag Wolf Biermanns an das DDR-Kulturministerium vom 10. Oktober 1976 Dokument, 1 Seite
Einladung der IG Metall an Wolf Biermann zu Auftritten bei Jugendveranstaltungen Dokument, 1 Seite
Wolf Biermann bei der Ausreise am Grenzübergang Friedrichstraße 1 Fotografie
Unvollendetes Graffiti zur Ausbürgerung Wolf Biermanns Dokument, 1 Seite